Caro: Argens, in: Allgemeine deutsche Biographie. Hrsg. durch die Historische Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Leipzig: Duncker & Humblot, 1875, Bd. 1, S. 521-524.
d’Argens : Jean Baptiste de Bayer, Marquis d’A., Schriftsteller, geb. 24. Juni 1704 zu Aix in der Provence, wo sein Vater Generalprocurator des Parlaments war; † 1771. Als Mitglied der geistreichen Tafelrunde Friedrichs des Großen erlangte d’A. einen Ruf und eine Bedeutung, die die Höhe seines Talents weit überragten. Wider den Willen seines den Jesuiten ergebenen Vaters war er in ein französisches Regiment eingetreten, aber so sehr auch seine beträchtliche Körpergröße und sein stattlicher Wuchs ihn zum Soldaten eigenen mochten, so wenig schickte sich dazu sein unruhiger Geist. Kaum zwanzig Jahr alt geht er mit einer Schauspielerin nach Spanien durch. Sein Vater läßt ihn verfolgen und nicht ohne Gewalt zurückführen, und verschafft ihm einen Posten bei der französischen Gesandtschaft in Constantinopel. Der Anblick dieser fremdartigen Welt macht auf den zwar flüchtigen aber äußerst empfänglichen Geist des jungen Mannes eine so lebhaften und bleibenden Eindruck, daß seine Einbildungskraft Jahrzehnte darnach noch in diesem Anschauungskreise gefangen bleibt, und die äußere Umkleidung der in seinen Schriften vorgeführten Gestalten dadurch bestimmt wird. Auch dort hält er es nicht lange aus und versucht es, in sein Vaterland zurückgekehrt, seinem Vater zu Liebe mit der juristischen Laufbahn, die freilich mit ihrer scholastisch-rabulistischen Methode und ihrer steifen bis zum Lächerlichen aufgeblasenen Ehrwürdiglichkeit ihm noch weniger zusagen kann. Die Affaire La Cadière, welche seinen gutmüthig rechtlichen Sinn bis zur Empörung reizte, macht das Maß seines Widerwillens voll, und den Barreau 1733 verlassend, nahm er wieder Kriegsdienste. Bei der Belagerung von Kehl wurde er leicht verwundet, und nach der Belagerung von Philippsburg, bei der er sich ausgezeichnet hatte, traf ihn das Unglück, derart vom Pferde zu stürzen, daß er dem Kriegsdienste für immer entsagen mußte, wiewol seine Neigung für denselben eigentlich niemals erlosch. Die harte Lage, in die er nun gerieth – denn die Zuchtlosigkeit seiner Lebensweise, seine Schulden, seine Händel, seine Auflehnung gegen die Spießbürgerlichkeit und Frömmigkeit seines Vaters hatten diesen veranlaßt, ihn zu enterben – brachte einen Wendepunkt in seinem Leben hervor. Er ging nach dem Haag, dem Zufluchtsorte der Encyklopädisten, deren Vielseitigkeit, deren skeptisch-kritische, mehr prickelnde als durchgreifende Behandlung großer Probleme, deren demokritisch-epikuräische Schöngeisterei und herausfordernde Leichtlebigkeit seinem raschen und springenden Geiste zusagten. Mit Eifer warf er sich auf das Studium der Alten, denen er, wie diese Leute zumeist, doch eigentlich nur das Anekdotenhafte abzugewinnen wußte, trieb dilettantenhaft nach Art dieser Schule Philosophie, Chemie, Anatomie, Sprachkunde, Kunst- und Kirchengeschichte, und bald meinte er sich berufen mit den damals alle Welt berauschenden „Lettres persanes“ des Montesquieu durch seine „Lettres juives“ (8 Bde. la Haye 1754) concurriren zu können. Daß dies in der That nach dem Beifall, den „die Briefe eines Juden“ fanden, in nicht geringem Maße der Fall war, ist heute schwer begreiflich, denn die Buntheit der Materie, der oft triviale Witz, und der zwar natürliche aber ungezüngelte Stil lassen einen ernsten Vergleich mit Montesquieu doch nur im Sinne eines weit klaffenden Unterschiedes zu. Der Erfolg bei den Zeitgenossen aber veranlaßte A. später „Lettres <521|522> chinoises“ (5 Bde. la Haye 1759) und weiterhin „Lettres cabalistiques“ (7 Bde. la Haye 1769) nachfolgen zu lassen, in denen zwar der Witz und die Laune immer geringfügiger, dagegen die Objecte des satyrischen Gerichts doch geschlossener, und insbesondere der zersetzende Eifer gegen die Kirche und die dogmatische Schule aufsteigend glühender und dreister werden. Etwas näher dem specifisch philosophischen Interesse stehen zwar die Schriften : „L’histoire de l’esprit humain“ und die „den Cavalieren und dem schönen Geschlecht“ gewidmete, „La philosophie du bon sens“ (3 Bde. 1768), die er später in Berlin verfaßte. Allein trotz der empfindsamen Huldigungen, welche in dem ersten Werke Locke und Descartes dargebracht werden, hat doch auch dieses nur die Tendenz, gegen Dogmatik und Glauben, oder wie A. es nennt, „die Scholastik, die Metaphysik des Thomas von Aquin und der Spanier“ eine erbitterte Fehde zu führen; und was das andere allgemeinere betrifft, so läßt sich von ihm nur sagen, was Voltaire von Holbach urtheilte : „der Mann nimmt seinen Verstand für den gesunden Menschenverstand“. Es lohnte sich nicht, daß man in Frankreich sich gegen diese Schrift so sehr ereiferte und ihr 23 Jahre nach ihrem Erscheinen noch die Ehre der Verbrennung durch Henkershand anthat. Diese Schriften erschienen später gesammelt als „Oeuvres du marquis d’Argens“ (24 Bde. 1768). Inzwischen hatte er aber auch unter dem auf die Klatschsucht der Zeit wohlberechneten Titel : „Mémoires secrets de la république des lettres“ (4 Bde. la Haye 1737, Amst. 1744 in 7 Bdn.), seit 1737 eine Art kritischen Journals veröffentlicht, dessen mannigfaltige Gelehrsamkeit und namentlich gegen die Theologen gerichtete Schärfe demjenigen imponiren mochten, der nicht bemerkte, daß Bayle’s Schriften ihre Quelle und ihr bis zum Unerlaubten nachgeahmtes aber nimmermehr erreichtes Vorbild sind. – Mittlerweile war A. im Gefolge der Herzogin von Würtemberg nach Berlin, und durch Jordan’s Empfehlung an den Hof Friedrichs des Großen gekommen, den wol weniger die Schriftstellerei, als die Jovialität, die offene ehrliche Physiognomie, die gutmüthige Dienstfertigkeit und Anstelligkeit, sowie die südliche Lebendigkeit des Provencalen anzogen. Bald knüpfte sich zwischen Beiden ein gemüthliches Verhältniß, daß in dem Maße, als der Tod und die Untreue die Reihen der Friedrich nahestehenden Freunde lichteten, und als A. immer mehr von dem fortreißenden preußischen Staatsgefühl ergriffen wurde, sich zunehmend vertiefte, so daß der König grade in den wichtigsten Katastrophen des siebenjährigen Krieges den Marquis mit einem Vertrauen, das keinen Rückhalt kennt, beehrte. Der Briefwechsel (selbständig gedr. In „Oeuvres de Frédéric“. XIX.), der freilich den unermeßlichen Abstand des durch Originalität, Kraft, Witz, Seelenadel und eine wahrhaft hinreißende Herzensanmuth strahlenden Königs von dem flachen und mehr bequemen als anregenden Marquis kennzeichnet, bekundet doch auf der andern Seite, wie hoch der Heldenkönig die Treue, die Hingebung, die Discretion seines Dieners und Freundes hielt. Die Art, wie A. das hohe Glück des leuchtenden Widerscheins, der in der Nähe Friedrichs auf ihn fiel, zu tragen wußte, bildet die schönste und rühmlichste Seite im Leben des Marquis, sowie andererseits wieder dadurch, daß er das Medium zur Erkenntniß der Stimmungen und Gefühle des unsterblichen Königs in den wichtigsten Wendepunkten seiner glorreichen Laufbahn wurde, der Ruhm d’Argens höher und unverrückbarer als durch seine litterarischen Leistungen begründet wurde. Der König hatte ihn zum Kammerherrn, zum Director der philosophischen Klasse der Akademie und auf eine kurze Zeit auch zum Director der Schauspiele gemacht, und daß er den Orden pour le mérite nicht begehrte und nicht erhielt, zeichnet ihn vielleicht mehr aus, als derselbe Orden die Voltaire, Maupertuis, Algarotti, die ihn zu erlangen wußten, zierte. In Angelegenheiten des Theaters sowie mit andern kleinen Aufträgen des Königs beehrt, machte er <522|523> 1747 eine Reise nach Frankreich und brachte von dort die Tänzerin Mademoiselle Cochois mit, die er am 21. Jan. 1749 als Gattin heimführte, und mit welcher der oft so frivol sich ausprechende Mann in musterhafter Ehe lebte. Nachher ging er noch wiederholentlich und zuweilen auf längere Zeit in seine Heimath zurück, theils, um seine zerrüttete Gesundheit im südlichen Klima herzustellen, theils um den kleinen Erbantheil, welchen sein rauher Vater ihm nicht zu entziehen vermochte, für die Seinigen zu sichern. Auch in der Fremde bewährte er „das reine und lautere Herz, das Bayard nicht besser haben konnte“, wie Friedrich von ihm rühmt. Jedesmal hatte er dort von der Verfolgungssucht der Jesuiten und Ultramontanen Belästigungen und Chicane zu bestehen, die zu mildern seine Stellung zum Preußenkönige keinesweges geeignet ist. Dies mochte wol mit ein Grund sein, warum er trotz erwachenden Heimwehs immer wieder in „die Gesellschaft der Großen, die wie die Sünde anfangs süß, dann aber die Ruhe beraubend ist“, zurückkehrte. Während des siebenjährigen Krieges hatte A. mit rührender Hingebung und aufrichtigem Eifer sich bemüht, dem Könige in jeder Art, auch durch allerlei polemische Schriften gegen die Feinde förderlich zu sein. Nach dem Frieden aber scheint er die Behaglichkeit und Seelenruhe in Sanssouci nicht mehr zu finden; Hypochondrie und wirkliche Kränklichkeit peinigen ihn, und im September 1764 verflucht er wieder in der heimathlichen Luft seine frohe Laune herzustellen. Um ihn zur Beschleunigung seiner Rückkehr anzufeuern, erließ Friedrich zum Scherz einen im Namen des Erzbischofs v. Aix verfaßten Hirtenbrief gegen „den Ketzer und Atheisten d’Argens“, der mit seiner Proscription aus dem Königreiche Frankreich schloß. Daß dieses im kirchlichen Canzleistil geschriebene Scherzpamphlet in Toulon und Aix für echt angenommen werden würde, das konnte Friedrich ebenso wenig ahnen, als daß dem Marquis in der That daraus Unannehmlichkeiten erwachsen würden. Neben dieser unbeabsichtigten Wirkung hatte das Schreiben auch die beabsichtigte : A. kehrte zurück, konnte sich aber nicht mehr in den nun auch veränderten Ton von Sanssouci hineinfinden. Er löste 1769 das Verhältniß zum Könige, um seinen Lebensabend in der Provence zu genießen, in einer so zarten und rücksichtsvollen Weise, daß dem greisen Friedrich die Thränen in die Augen traten, als er dem Freunde die Entlassung gewährte. Den Winter 1770 wollte der Marquis bei seiner Schwester, der Baronin de la Garde in der Nähe von Toulon zubringen; er erkrankte aber und starb in Toulon in der Nacht von 12. zum 13. Januar 1771. Ueber sein Grab hinaus verfolgte ihn die Geistlichkeit, indem sie einem Denkmal in Toulon den Platz versagte, über sein Grab hinaus ehrte ihn Friedrich durch rührende Beweise des Wohlwollens gegen seine Wittwe und durch ein Denkmal in der Minoritenkirche zu Aix mir der Inschrift : „Erroris inimicus, veritatis amator“. – Während seines Aufenthalts in Preußen hatten d’Argens Schriften eine etwas ernstern und tiefern Charakter angenommen. Um sich als Director der Akademie der schönen Künste zu legitimieren, schrieb er seine : „Reflexions critiques sur les différentes écoles de peintures“ (Paris 1750), eine Art räsonnirender Kunstgeschichte, in der allerdings neben den Gemeinplätzen über den Geschmack wenig Raum für eine rechte Gliederung der Schulen blieb. Besonders bemerkenswerth sind aber die Uebersetzungen und Commentationen von drei Werken des Alterthums, die A. in Berlin veröffentlichte, weil die Materie derselben im engsten Zusammenhang mit der Denk- und Anschauungsweise des aufklärerischen und antikirchlichen Kreises um Friedrich steht und für die Richtung derselben ein interessantes Schlaglicht giebt. Es sind die Schriften des angeblichen Lucaners Ocellus „Ueber die Natur des Weltalls“, des falschen Timaeus von Locris „Ueber die Weltseele“ und die Reden des Julianus Apostata wider das Christenthum. Der Commentator und Uebersetzer ist weit entfernt davon, <523|524> eine genaue Kenntniß von der Stellung der beiden Neupythagoreer in der Entwickelungsgeschichte der griechischen Philosophie zu haben; auch ist es nicht ihre Auffassung von Gott und der Materie als das Wirkende und Leidende, oder von der Ewigkeit der Welt und des Menschengeschlechts u. dgl., was ihn anzieht, sondern sie wie die Reden Julian’s bieten ihm nur die anständige Gelegenheit in weitem Umkreis über allerlei philosophische und theologische Zeitfragen Bemerkungen auszukramen, von denen schon Batteux bemerkte, daß der Text sie nicht fordere, und daß sie wol hätten kürzer sein können. Der Werth dieser gelehrten Arbeiten an sich ist wiederum weit zurückstehend gegen ihre Bedeutung als Denkmal der in dem Kreise des großen Königs herrschenden Interessen und Anschauungen.
Die Mémoires du marquis d’Argens (nouv. ed. augmentée d’une notice sur la vie et les ouvrages d’auteur par Peuchet 1807) sind die schlechteste Quelle für das Leben des Marquis, denn sie sind lediglich ein aus seinen Liebesabenteuern und Wandererlebnissen zusammengeschmiedeter Roman : Die zahlreichen Werke über Friedrich den Großen erwähnen alle d’Argens. Die aus französischen Quellen schöpfende Biographie universelle hat nicht nur ungenaue, sondern auch völlig falsche Angaben. Besseres findet man bei : Chr. Bartholmeß, Hist. philosophique de l’académie de Prusse (Paris 1851) und bei Preuß, Friedr. d. G. mit seinen Verwandten und Freunden (Berlin, 1838). Die beste Quelle bleiben seine Werke und Schriften.
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