Article " Argens " dans : Historisch Genealogischer Calender auf das Jahr 1794. Mit Genehmhaltung der Königl. Academ. d. Wissenschaften zu Berlin. - Berlin : Unger, 1794, p. 110-113:
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Jean Baptiste de Boyer, Marquis d'Argens, ward im Jahre 1704 zu Aix in Provence gebohren. Sein Vater war General-Prokurator in dieser Stadt, und bestimmte ihn zum Studium der Rechte. Allein der feurige junge Mensch hatte mehr Neigung zum Soldatenleben und befriedigte diese seine Neigung auch wirklich schon in seinem fünfzehnten Jahre. Er mußte indessen nach einiger Zeit den Wünschen seines Vaters nachgeben, seine selbst gewählte Lebensart verlassen und sich wirklich den Justizgeschäften widmen. Allein der langsame Gang dieser Geschäfte, die häufigen Unregelmäßigkeiten, besonders die dabey vorfallenden Ungerechtigkeiten brachten ihm von neuem einen unüberwindlichen Widerwillen <111> dagegen bey, so daß er im Jahre 1733 alles Widerredens seines Vaters ungeachtet, wieder in Kriegsdienste ging. Er wohnte in dem damahligen Kriege 1734 der Belagerung von Kehl und Philippsburg bey; hatte aber das Unglück, durch einen Fall vom Pferde sich so zu blessiren, daß er nie wieder ein Pferd besteigen konnte und so den Kriegsdiensten auf immer entsagen mußte. Er fing nun an, sich aufs Schreiben zu legen, und gab verschiedene Werke heraus, unter welchen seine Lettres juives und seine Philosophie du bon sens das meiste Aufsehn machten. Wegen des letztern verketzerte ihn die französische Geistlichkeit besonders. Sie brachten sogar seinen Vater dahin, daß er ihm deswegen das Recht der Erstgeburt nahm und es seinem zweyten Sohne, dem Präsidenten d'Eguilles, gab, welchen der Marquis dessen ungeachtet mit der größten Zärtlichkeit liebte.
Die Verfolgungen, die er wegen dieses Buches in seinem Vaterlande auszustehen hatte, veranlaßten ihn, nach Holland und von da nach Deutschland zu gehen. Auf Empfehlung der Mutter des jetztregierenden Herzogs von Würtemberg, kam er in den ersten Regierungsjahren Königs Friedrichs II. nach Berlin. Dieser machte ihn zum Kammerherrn, bald darauf zum Director der philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften und auf eine kurze Zeit auch zum Director der Schauspiele.
Unter allen Personen, die des großen Königs Gesellschafter in seinen Erhohlungsstunden waren, war der Marquis d'Argens derjenige, den man vorzugsweise seinen Freund nennen kann. Seine Unterhaltung gefiel durch ein gewisses Gepräge von Aufrichtig<112>keit, durch eine muthwillige Lebhaftigkeit und durch ganz originellen Witz. Hang zur Hypochondrie erzeugte in ihm manche Schwachheiten, welche oft der Gegenstand von Friedrichs Spott wurden. So fürchtete er sich z. B. vor allen Krankheiten, und nichts war leichter, als ihm einzubilden, er sey selbst krank. Aller seiner Philosophie zum Trotze war er höchst abergläubisch, und ein umgeworfenes Salzfaß bey Tische, oder der unvermuthete Anblick einer Heerde Schweine oder schwarz gekleideter Leute konnte ihn auf einmal ganz traurig machen.
Diesen Schwachheiten aber hielten viele schätzbare Eigenschaften das Gegengewicht. Er hatte wirklich viele gelehrte Kenntnisse und eine ziemliche Belesenheit in den griechischen Philosophen und in den Kirchenvätern. Er war mit den schönen Künsten, insonderheit mit der Mahlerey, gut bekannt, und wußte seine Kenntnisse auf eine sehr angenehme Weise mitzutheilen. Dabey war er ein zärtlicher Gatte, ein treuer Freund und guter Herr gegen seine Untergebenen.
Er liebte den König ungemein und lebte sehr vertraut mit ihm. Er wußte den Scherz desselben gut zu erwiedern oder stillschweigend zu ertragen, wenn er merkte, daß er nicht in der Laune war, seine Antworten zu ertragen. Zuweilen, wenn es der König zu arg machte,
entstanden wohl kleine Mißverständnisse zwischen ihnen, die aber nicht lange dauerten. Drey Male machte er während seines Aufenthalts am Berliner Hofe eine Reise nach seinem Vaterlande, dessen mildes Klima er gar nicht vergessen konnte. Die letzte unternahm er im Jahre 1769 und zwar in der Absicht, nicht wleder zurückzukehren. Dies war <113> das erste Mißvergnügen, das er seinem Königlichen Freunde in einer Zeit von beynahe dreyßig Jahren machte. Der Briefwechsel zwischen beyden Weltweisen ist der beste Beweis von ihrer gegenseitigen Achtung und Vertraulichkeit. Der Marquis ging nach Aix zurück und verlebte den Ueberrest seiner Tage in philosophischer Stille. Ein Fieber überfiel ihn nahe bey Toulon, auf dem Schlosse der Baronesse de la Garde, seiner Schwester. Man brachte ihn nach Toulon, wo er im Jahr 1771, wie man vermuthet, durch die Ungeschicklichkeit seines Arztes starb. — Außer den oben erwähnten beyden Werken hat er noch Lettres chinoises und Lettres cabbalistiques, imgleichen Mémoires et Lettres du Marquis d'Argens, wie auch Mémoires sécrets de la république des Lettres und verschiedene Uebersetzungen aus dem Griechischen hinterlassen.
Berlin, gedruckt bey Johann Friedrich Unger. |