Hirsching, Friedrich Carl Gottlob: Argens, in: Historisch-literarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen. T. 1. Leipzig : Schwickert, 1794, S. 54-59:
D'Argens, Johann Baptista de Boyer, Marquis, einer der witzigsten Schriftsteller und glücklichsten Gelehrten der neuesten Zeit, war den 24sten Jun. 1704. zu Aix in der Provence, aus einem alten adelichen Geschlechte geboren. Sein Vater, General-Procurator des Parlaments, widmete ihn, als den ältesten seiner 5. Söhne, den Wissenschaften; aber der Soldatenstand reitzte den jungen Marquis. Er gieng in seinem 14. Jahre unter das Toutousische Regiment, so damals in Strasburg in Garnison lag. Nach einigen Jahren kam er nach Aix zurück, um seine Eltern zu besuchen, wo er sich in eine junge Schauspielerin verliebte, mit welcher er nach Ionquieres in Spanien flüchtete, um sich dort trauen zu lassen. Seine Verheirathung verzog sich, weil der Obervicarius zu Perpignan vorher ein Zeugniß verlangte, daß er noch nicht verehligt sey. Unterdessen wurde er entdeckt, und gefangen genommen, seiner Geliebten aber der Proceß gemacht, welcher sie bewog, in ein Kloster zu gehen. d’Argens wollte sich aus Ver-
<54 | 55> zweiflung das Leben nehmen, er machte Kugeln von zerstoßenem Glas und spanischen Schnupftaback, und hatte schon eine davon verschlungen, als zum Glück es seine Freunde gewahr wurden, wie er die zweite nehmen wollte. Man gab ihm sogleich Arzney, und er wurde wieder hergestellt, ob er gleich lange Zeit noch die Wirkungen davon spürte. Man brachte ihn hierauf auf die Zitadelle von Perpignan, wo er 6. Monathe verbleiben mußte, bis er Erlaubniß erhielt, den Hrn. von Andresel, welcher als französischer Gesandter nach Konstantinopel gieng, zu begleiten. Er sprach noch vor seiner Abreise mit dem französischen Gesandten seinen Vater zu Toulon, mit dem er wiederum ausgesöhnt wurde.
Nach einigen Monaten kehrte er wieder nach Frankreich zurück. Nun advocirte er bey seinen großen Fähigkeiten mit gutem Glück, schien auch plötzlich einen dauerhaften Geschmack an den Künsten und Wissenschaften zu gewinnen, und lies dabey nach seiner natürlichen Flüchtigkeit die Philosophie und andere Wissenschaften durch, legte sich in seinen Nebenstunden auf die Tonkunst und Malerey, und brachte es in beyden zu einer großen Vollkommenheit, bis ihn wieder eine Sängerin fesselte. Mit dieser gieng er nach Marseille : da er sich aber von ihr betrogen sah; so eilte er nach Paris, und übte sich hier in der Musick, Zeichen= und Malerkunst. Er spielte einstmals mit solchem Glück, daß er in einer Zeit von anderthalb Stunden 6000 Livres gewann. Dieses Geld wendete er zu einer Reise nach Rom an, ohne von seiner Familie, außer seinem Bruder, Abschied zu nehmen. Hier blieb er 3. Monate, besah alles, Merkwürdige; verliebte sich aber auch hier, welches ihm beynahe das Leben gekostet hätte. Er kehrte also nach Frankreich zurück, und nahm 1733. aufs neue Kriegsdienste. Sein Vater wirkte für ihn eine Lieutenantsstelle unter dem Regimente des Herzogs von Bouflers aus, mit welchem er nachher den Belagerungen von Kehl und Philippsburg beywohnte. In der ersten wurde er leicht verwundet, und in der letztern wäre er beynahe durch eine Kanonenkugel ums Leben gekommen. Bey Worms stürzte er bald darauf mit seinem Pferde, welches ihn im 30sten Jahre seines Alters zu fernern Kriegsdiensten untüchtig machte.
Nun hielt er sich bald da, bald dort, besonders in Holland auf, wo er aus Dürftigkeit seine Romane und andere witzige Schriften verfaßte. Durch diese wurde er dem damaligen Kronprinzen von Preußen, König Friedrich II., bekannt, der ihn nach seiner Thronbesteigung zu sich berief, ihn mit einem ansehnlichen Gehalt zum Cammerherrn, und 1744. zum Direktor der Classe der schönen Wissenschaften bey der königl. Academie zu Berlin ernannte. Er heurathete die berühmte Operistin Cochois, trennte sich aber wieder von ihr. Nachden er 25. Jahre zu Berlin und Potsdam sich aufgehalten hatte, so gieng er nach Aix in seine Vaterstadt zurück, wo er als ein Philosoph in Ruhe lebte. Er starb 1770. bey seiner Schwester, der Baronesse de la Garde, auf ihrem Schloß ohnweit Toulon. <55 | 56>
D’Argens war einer von den wenigen auserlesenen Genies, welche K. Friedrich II. von Preußen seiner Freundschaft, und seines besondern Umgangs würdigte, und sich in dieser vorzüglichen Gnade seines Monarchens bis an sein Lebensende erhielt. Das Hofleben war für ihn nicht diejenige Lebensart, welche ihm viele Annehmlichkeiten gewähren konnte; er sehnte sich stets nach einem ruhigen Leben, und brachte die letzten Jahre desselben in Potsdam zu, ohne an dem Geräusche der Welt Antheil zu nehmen. Indessen wird man das Sonderbare in seinen Meynungen, den fast in allen seinen Schriften herrschenden Geschmack zur Wollust, der oft übertrieben ist, die Ursachen seiner darinnen oft vorkommenden melancholischen Laune, und die versteckten widersinnigen Sätze gegen die Religion und Wahrheit leichtlich entziffern können, wenn man seine herrschenden Leidenschaften und die verschiedenen Auftritte seines Lebens kennt. – Sein Hang zu zweifeln läßt sich ebenfalls hieraus, und aus der Art, wie er sich mit den Wissenschaften bekannt gemacht, leichtlich erklären. Ich glaube nicht, daß man dem Marquis d’Argens unrecht thue, wenn man sich ihn als einen Mann vorstellt, der bey ausgebreiteten Kenntnissen, und bey einem glänzenden Witze oft sehr unrichtige Urtheile zu fällen gewohnt war, und der, weder in seinem Leben, noch in seinen Schriften ein Muster der Moral ist.
Seine Gesellschaft war ungemein lebhaft und unterhaltend. So wenig er anfangs ökonomisch war, ein desto strengerer Hausvater wurde er zuletzt, so daß er selbst unter seinem Beschluß, die Lichter, den Zucker und andere vorkommende Bedürfnisse hatte. Eine Hauptbeschwerlichkeit war in dem Umgang mit ihm, daß er, als ein sehr eingebildeter Kranker, in der größten Hitze des Sommers, so wie andere im Winter, angezogen, immer unter verschlossenen Stubenfenstern und Thüren, wie eingesperret war; und sich eben so sehr vor Gewitter, als vor dem Tode fürchtete. Sein alter Bedienter hatte solche Gewalt über ihn, daß er sowohl zu Hause, als noch mehr am dritten Orte, ohne weitere Umstände selbst mitten im besten Appetit, ihm den noch mit Speisen gefüllten Teller wegnahm, ja, wenn etwa der Wirth dagegen protestirte, lobte er seinen Jean vielmehr öffentlich darüber, weil er am besten die rechte Maaße seiner Nahrung abgemerkt, und er dadurch manche Unpäßlichkeit von ihm abgewendet habe. Sein großes Vergnügen war, oft seine Freunde, die er gerne um sich hatte, auf frugale Mahlzeiten bey sich zu sehen, die er aus Berlin zu sich nach Potsdam oder Sanssouci in des Königs Abwesenheit einlud, und äußerst ungehalten wurde, wenn diese nicht jedesmal seine Einladung befolgen konnten.
Er hat ohngeachtet des Vorurtheils seiner Nation, in seiner Histoire de l’esprit humain, und überhaupt bey einer jeden Gelegenheit die deutsche Nation, besonders die deutschen Gelehrten, sehr gelobet. So viel Gleichgültigkeit er auch gegen die Urtheile der deutschen Journalisten von seinen Werken äußerlich affectirte, so ausnehmend neugierig war er gleichwohl zu vernehmen, was <56 | 57> sie davon geurtheilet hätten, so daß man alle Mühe hatte, ihn davon abzulenken, weil er sonst eine Uebersetzung dieser deutschen Kriticken verlangt haben würde, indem er gar kein Deutsch verstand. – Schriften : Memoires et lettres etc. Lond. 1735. 12.; ib. 1737. 8. Paris 1748. 12. Er erzählt darinn sein eignes Leben mit allen Liebeshändeln und anstößigen Ausschweifungen seiner Jugend, welche sein Andenken nicht verewigen können, ob sie gleich auch ins Deutsche sind übersetzt worden. – Hist. de l’esprit humain, ou Mémoires secretes de la republ. des lettres. Haye, 1737. 4. Bde. in 12; ib. 1748. 6. B. in 12. Berlin, 1765-69. 14. Bände in 8. – Reflexions hist. et crit. sur le gout et sur les ouvrages des principaux auteurs anciens et modernes. Amst. 1743. 8. – Lettres Juives. ib. 1736. und vermehrt 1742. 6. Bände in 8. Die beste Ausg. Haye. (Paris) 1766. 8. Bände in 8.; engl. Lond. 1739. 6. Bände in 8.; deutsch, durch Joh. Ge. Krüniz. Berl. 1763-66. 6. Bände in 8. – Lettres Chinoises. Haye, 1739. 42. 5. Bände in 8. 1756. 6. Bände in 8. auch in das Engl. übersetzt; deutsch, Berl. 1769-71. 5. Bände in 8. – Lettres Cabalistiques. Haye 1741. 6. Bände in 8.; ib. 1754. 7. Bände in 8; deutsch, Danzig, 1776-78. 7. Bände in 8. – La philosophie du bon sens, ou reflexions philosophiques sur l’incertitude des connoissances humaines etc. Lond. (Haye) 1737. 12. vermehrt, 1740. 2. Bände in 8. Die achte sehr vermehrte Auflage erschien, Dresden, 1754. 3. Bände in 8. am besten, ib. 1769. 3. Bände in 8; deutsch, Breslau, 1756. 2. Bände gr. 8. – Memoires pour servir a l’hist. de l’Esprit et du coeur etc. Haye, 1744. 3. Bände in 8. ib. 1765. 8 ; deutsch im Auszug : M. d’Argens und der Dem. Cochois gemeinschaftliche Beyträge für den Geist und das Herz. Berl. 1764. 2. Bände in 8. Eine seiner besten Schriften. – Critique du siecle. Haye, 1746. 2. Bände in 8. Eben so. – Mehrere Memoires oder Romane, die aber übel angelegt und nachläßig geschrieben sind. – Oeuvres etc. 1768. 24. Bände in 12. enthalten aber nur, nebst der Philosophie du bon sens etc. die jüdischen, chines. und cabalistischen Briefe, in welchen viele harte Ausfälle gegen die Religion und ihre Lehrer vorkommen. – Defense du paganisme par l’Emp. Julien etc. avec des dissert. et des notes, grec. et franc. Berlin, 1764. 8. sehr hart gegen die Religion; aber dem ohngeachtet zu Genf mit noch härtern Anmerkungen wieder aufgelegt. – Ocellus Lucanus, en grec. et en franc. avec des dissert. Berl. 1762. 8. – Timée de Locres, grec. et franc. avec des dissert. ib. 1763. 8. – Lettres sur la religion essentielle a l’homme, Amst. 1738. 12. auch gegen die geoffenbarte Religion. Sie sind aber wahrscheinlich von der Madem. Houbert. – Viele Briefe, Gedichte und andere Aufsätze an ihn von der berühmten Feder K. Friedrich II. von Preußen stehen in den hinterlassenen Werken Friedrichs II. in mehreren Bänden zerstreut. Briefe d’Argens an den König stehen ebendaselbst im 13ten Band. – s. Neu. gel. Eur. 11. Th. S. 773. sq. 12. Th. S. 785-817. – Hoff’s Biographien. 3. Th. S. 150-180. - Saxii Onomast. <57 | 58> T. VI. p. 527. sq. – Nicolai Anecdoten von König Friedrich II. von Preußen, 1stes Heft S. 11-75. wo viel Interessantes zu lesen ist.
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