Friedrich Nicolai : Anekdoten von König Friedrich II. von Preussen, und von einigen Personen, die um Ihn waren. Nebst Berichtigung einiger schon gedruckten Anekdoten. Erstes Heft, Berlin und Stettin, 1788, S. 11-75:
Der Markis d’Argens ist als Schriftsteller bekannt, und das Publikum kömmt über den Werth und Unwerth seiner Schriften ziemlich überein, ob gleich viele billige Leute der Freimüthigkeit und Wahrheitsliebe die er in seinen Schriften zeigt, nicht Gerechtigkeit genug wiederfahren lassen. Man vergißt, wie wenig man im J. 1736, da seine Lettres juives herauskamen, selbst in Frankreich über die größten Religionsmißbräuche und über die scheußlichste Intoleranz seine Meinung freymüthig sagen
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durfte. Man vergißt, welcher Muth damals dazu gehörte, sich aus den groben Vorurtheilen der Erziehung herauszuziehen, und das d’Argens diesen Muth hatte. Man bleibt nur bey den Mängeln seiner Schriften stehen, die er größtentheils doch mit den mehresten guten Schriftstellern seines Zeitalters und seiner Nation gemein hat. – Eben so falsch ward der Markis als Mensch beurtheilt. Man rechnete ihm immer noch einige Unbesonnenheiten seiner Jugend allzustreng zu seinem Nachtheile an, als er schon ein Mann war. Einige davon sind doch Jünglingen von einer so lebhaften Nation wie die französische, und aus der fröhlichsten Provinz, der Provence, nicht ungewöhnlich; und überhaupt würde man alle nicht wissen, wenn er sie nicht mit seltener Offenherzigkeit, durch welche er schon auf einige Vergebung Anspruch machen darf, selbst beschrieben hätte.*
Ich will nur einen einzigen Beweis seines wahrhaft edlen Charakters anführen. Sein Buch : la Philosophie du bon sens ward von der Geistlichkeit in Frankreich äußerst verketzert. Sein Vater, erster
*Mémoires et Lettres de Mr. le Marquis d’Argens. Londres 1735. 12.
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Präsident zu Aix, der, seines Standes halber, die Geistlichkeit nicht wider sich aufbringen konnte, ward durch dieselbe gezwungen, dem Sohn das Recht der Erstgeburt wegen dieses Buchs zu nehmen, und es seinem zweyten Sohne, dem Präsidenten d’Eguilles zu geben. Der Markis ertrug dies mit vieler Gleichmüthigkeit, und liebte unter seinen Verwandten seinen Bruder d’Eguilles vorzüglich mit der größten Zärtlichkeit. Aber über diesen und mehrere edle Züge seines Charakters sah man weg; und wußte von seinem Leben in seinen reifern Jahren und in seinem Alter nichts genauers zu erzählen, als einige äußerliche Sonderbarkeiten, die freylich auch gemeinen Beobachtern eher in die Augen fielen, als seine sehr schätzbare Seite.
Er ging wenig, oder eigentlich fast gar nicht aus, sondern beschäftigte sich immer auf seinem Zimmer. Er war sehr empfindlich gegen die Kälte, und zog daher beständig ein Paar Schlafröcke über einander, und trug beständig über eine baumwollne noch eine wollene Mütze auf dem Kopfe. Eben so war ihm trübes Wetter äußerst unangenehm. Wenn man ihn in gute Laune setzen wollte, mußte man erst mit ihm von schönem Wetter reden, und wenn nur der Himmel nicht ganz bewölkt
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war, ihn versichern, die Sonne scheine hell und die Luft sey warm : welches der gute alte Mann bey nur einigem Grade von Wahrscheinlichkeit sehr gerne glaubte, weil er gern gutes Muths seyn mochte. Man verlachte ihn bitter über diese kleinen Schwächen. Aber man überlegte nicht, daß dieser Mann in der warmen und heitern Luft der Provence geboren war, und sein Vaterland ausserordentlich liebte. Wer unser nördliches Klima von Jugend auf gewohnt ist, mag sich keinen Begriff machen, wie schwer es oft einem im südlichen Himmelsstriche Gebornen wird, in dem unsrigen angenehm zu existiren. Man durfte dem Markis d’Argens nur den beau soleil de Provence nennen, so erheiterte sich seine ganze Physiognomie.
Er hatte freylich noch mehrere Schwachheiten, die man nicht ganz ohne Lächeln betrachten konnte. Z.B. Er fürchtete sich vor allen Krankheiten. Man konnte ihm sehr leicht einbilden, er sey krank; und er selbst bildete es sich leicht ein. Er war dabey, was man von ihm am wenigsten glauben sollte, in einigen Stücken abergläubisch. Er hielt etwas auf Vorbedeutungen; und ward z.B., wenn bey Tische ein Salzfaß umgeworfen ward, äußerst mißmuthig. Ein unvermutheter Anblick einer
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Heerde Schweine oder schwarzgekleideter Leute, war ihm höchlich zuwider. Er verheelte übrigens nicht, daß er selbst dies für Schwachheiten hielt, gestand aber seinen Freunden, daß alle philosophische Gründe die unwillkührlichen Empfindungen bey ihm nicht unterdrücken könnten.*
Er besaß aber bey diesen Schwachheiten, wegen welcher er oft hinter seinem Rücken verspottet ward, viel schätzbare Eigenschaften, die ihm beynahe gar nicht angerechnet wurden. Er hatte wirklich mehr gelehrte Kenntnisse, als man sonst bey einem französischen Hofmann findet. Besonders war er in den griechischen Philosophen und in den Kirchenvätern nicht unbelesen. Er besaß in den schönen Künsten, vorzüglich in der Malerey gute Kenntnisse. Ausser Algarotti hatte vielleicht kein Gelehrter in größerem Maaße, wie d’Argens, die Gabe, den Hofleuten und Weltleuten seine Kenntnisse in Wissenschaften und schönen Künsten mitzutheilen und sie ihnen angenehm zu machen. Er
*Der Verf. der Vie de Voltaire par M. (1787, 8. gr.) sagt S. 118 nicht übel : d’Argens, comme philosophe doutait de tout, comme homme de societé croyait tout. Das übrige, was er von dessen Charakter sagt, ist unrichtig und unbillig.
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war ein sehr ehrlicher Mann und ein guter Hausvater. Er liebte seine Gemahlinn* zärtlich, und war äußerst sorgsam für alles, was derselben Wohl betraf. Alles, was um ihn war, war ihm werth; und wenn er zuweilen jemand in einige Verlegenheit setzte, geschah es nur, weil er in der besten Absicht allzugern dessen Vergnügen noch mehr befördern oder anordnen wollte. Er war unbeerbt, liebte aber Kinder, und hatte nach einander zwey Pflegetöchter bey sich, auf deren gute Erziehung und künftige gute Verheirathung er mit größter Sorgfalt bedacht war. Die zweyte Pflegetochter adoptirte er in Frank-
*Ich weiß gar nicht, woher Herr Rath Adelung, (in der Fortsetzung von Jöchers Gelehrtenlexikon S. 1052) die ganz falsche Nachricht mag genommen haben : daß der Markis sich von seiner Gemahlinn getrennt habe. Diese rechtschaffene und liebenswürdige Frau, eine geb. Cochois, hat ihm niemals die geringste Ursachen zum Mißvergnügen gegeben. Beide waren ein Muster einer glücklichen Ehe. Sie liebte ihn aufrichtig, war genau aufmerksam auf alle seine Wünsche, hatte mit allen seinen kleinen Schwachheiten außerordentlich viel Gedult, und pflegte ihn sorgfältigst bey seiner öftern Kränklichkeit. Sie lebt, so viel ich weiß, noch in der Provence, und ist, selbst in der dort sehr ansehnlichen Familie des Markis, in großer Achtung.
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reich, kurz vor seinem Tode, und verheirathete sie an einen Parlamentsrath in Aix, von einem sehr guten Hause. Sein kleiner häuslicher Zirkel war wirklich ein sehr angenehmer Anblick. Der Markis war voll der äußersten Gutmüthigkeit in allen seinen Handlungen; seine provenzalische Lebhaftigkeit machte zwar, daß er leicht aufbrausete, aber er ließ sich auch eben so geschwind zufrieden sprechen. Er hatte sehr lebhaften Witz, war daher bey gesunden Tagen der angenehmste Gesellschafter, voll Naivetät und guter Laune. Seine Repartieen waren oft sehr kaustisch, doch nie beleidigend. Er war wohlthätig und edel in seinen Gesinnungen, und tolerant in Religionssachen. Man hielt ihn für einen Religionsspötter. Es ist wahr, daß er über die Pfaffereyen der katholischen Geistlichen und Mönche oft mit sehr lebhaftem Witze lachte; aber die Religion selbst machte er nicht lächerlich. Seine Gemahlinn ging sonntäglich in die Messe. Seinen alten treuen Bedienten Jean, und seine Köchinn, die lutherisch waren, schickte er Sonntags Nachmittags in die lutherische Kirche; und seine erste Pflegetochter, die reformirt war, mußte nicht allein alle Sonntage eine reformirte Predigt hören, sondern er machte sogar für sie, da er sie
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besonders liebte, einen kurzen Auszug aus dem Heidelbergschen Katechismus, und unterwies sie in der Religion nach reformirten Grundsätzen. Wahr ist es, daß er selbst weder die Messe noch eine Predigt hörte.
Der Markis d’Argens, als er wegen seiner Philosophie du bon sens von der Geistlichkeit in seinem Vaterlande verfolgt ward, gieng er nach Holland, und von da nach Deutschland. Er kam auf Empfehlung der Frau Mutter des jetztregierenden Herzogs von Wirtemberg in den ersten Jahren der Regierung K. Friedrichs II. nach Berlin. Er ward Kammerherr, nachher Direktor der philologischen Klasse der Akademie, und auch eine kurze Zeit Direktor der Schauspiele.
Er war des Königs Gesellschafter, und man kann wohl sagen, dessen wahrer Freund. Der König fand bey wenigen von den Ausländern, die er in den ersten funfzehn Jahren seiner Regierung um sich hatte, und mit Wohlthaten überhäufte, wahre Zuneigung, da er Anfangs die Meinung hatte, in ihrer Gesellschaft nicht König seyn zu wollen, sondern ein Bedürfniß in sich fühlte, zuweilen eine Stunde freundschaftlich sein Herz zu öfnen. D’Argens schilderte mir diese Männer fol-
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gendermaßen : er, der sie genau gekannt hatte, der ein völlig unbefangener Mann und als er mit mir von ihnen sprach, in gar keiner Kollision mit ihnen war, die ihn hätte parteyisch machen können.
Darget war ein ehrlicher Mann, dem aber der Aufenthalt beym König zur Last fiel, und der sich nach Frankreich zurücksehnte; er schätzte den König hoch, aber liebte ihn nicht. – De la Mettrie ward von dem Könige wirklich nicht geschätzt. Er betrachtete ihn vielmehr als einen Possenreißer, der zuweilen entre deux vins belustigen könnte. De la Mettrie bezeugte sich äußerst unwürdig gegen den König, er plauderte nicht nur in der Stadt aus, was an der Tafel des Königs war geredet worden, sondern erzählte alles falsch und mit hämischen Zusätzen. Besonders that er dieses an der Tafel des Lord Cyrconell, des damaligen französischen Gesandten, bey dem er auch starb.*
*Er hatte beym Lord Tyrconell sich an einer Trüffelpastete eine Indigestion zugezogen. Er wollte ersticken, und ließ sich, gegen das eifrige Zureden seiner Freunde, besonders des Hrn. D. Mac-Mahon, Arztes des Gesandten, eine Ader öffnen. Er
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Algarotti, ein sehr feiner Mann und sehr feiner Politiker, gefiel sich in Friedrichs Gesellschaft, weil dieser König und ein Mann von Geiste war. Der König schätzte ihn und liebte ihn wegen seiner guter Eigenschaften; aber Algarotti sah mehr auf das Ansehen, das ihm des Königs Freundschaft gab, und liebte den König nicht, welches der-
wollte selbst Arzt seyn; und man stellte ihm daher vor, daß dieß wieder die ersten Begriffe der Medicin wäre. Seine Antwort war : Je veux accoutumer mes indigestions aux saignées ; aber er starb beym ersten Versuche. La Mettrie hatte bekanntlich immer über alle Religion gespottet. Ein Irrländischer katholischer Priester, der im Hause des französischen Gesandten war, wollte ihn am Ende noch bekehren, oder doch das Ansehen davon haben, wie dieß sehr gewöhnlich ist. Er drängte sich ins Zimmer des Kranken, und dieß Zubringen ward von einigen Leuten begünstigt, die dadurch den de la Mettrie dem Könige noch verächtlicher zu machen trachteten. Der Kranke wollte von allen dem, was ihm der Priester sagte, nichts hören. Dieser aber blieb immer ësitzen. Endlich rief de la Mettrie, indem der Schmerz sehr arg ward, die Worte Jesus Marie aus! Ah! vous voilà enfin retourné à ces noms consolateurs! rief der Irrländer. De la Mettrie sagte : Mon Père, ce n’est qu’une façon de parler, und starb wenige Minuten darauf.
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selbe auch zuletzt wohl merkte. – Manpertuis, den der König wegen seiner Wissenschaften und wegen seines angenehmen Umgangs schätzte, war beständig voll Grillen und Prätensionen, und beneidete jeden, mit dem der König freundschaftlich sprach, weil er glaubte so viel zu verlieren als ein anderer gewann. Er war daher niemals zufrieden, und machte dem Könige, dem er mit seinen Grillen beschwerlich fiel, und der ihn gern hätte zufrieden stellen wollen, sehr viel Verdruß. – Voltaire, obgleich bey weitem der größte Schriftsteller unter allen, war auch der undankbarste gegen den König.* Er war neidisch gegen jeden, den der König vorzog. Seine meiste Bitterkeit gegen den König kam daher, daß er sich immer noch nicht genug von Ihm vor den übrigen gelehrten Lieblingen ausgezeichnet glaubte. Voll Stolz und Petulanz schlug er daher, nicht selten, wenn alles in bester Laune war,
*Der Graf Guibert, der überhaupt Friedrich den Großen im Ganzen, so edel, so billig, so richtig beurtheilt, sagt von dem Umgange des Königs mit Voltaire sehr wahr : Le sentiment, les procedés et les menagémens furent toujours plus de coté du Prince que du Poëte. Éloge du Roi de Prusse, S. 10.
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die andern in des Königs Gegenwart, auf eine unartige Weise nieder, die den König nicht selten selbst verstimmte; ja, zweymahl, da Voltaire allzu insolent ward, mußte der König, als König sprechen, und Voltaire war, so stolz er sich gezeigt hatte, nun augenblicklich sehr
gedemüthigt. Aber er rächete sich durch unartige und zum Theil falsche Erzählungen, hinter des Königs Rücken.* Er rühmte sich des Königs Werke zu korrigiren, welches, wie d’Argens versicherte, (außer zufälligem Rath über einzelne Wörter oder Redensarten) nicht der Wahrheit gemäß war; und sprach doch verächtlich von denselben. Es ist gewiß, daß Voltaire von den Schriften des Königs, die ihm unter dem Siegel des Geheimnisses anvertrauet waren, heimlich Abschriften nehmen ließ, und daß die Poesies diverses zuerst durch ihn, wider des Königs Willen, öffentlich bekannt wurden. Der König hatte also nicht Unrecht, ihm in Frankfurt am Main diese Abschriften wegnehmen zu lassen; sonst würde ge-
*Argens sagte mit seiner provenzalischen Lebhaftigkeit einst zu mir, von Voltaire : Le B – a de l’esprit comme trente, mais il est malicieux comme un vieux singe.
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wiß noch mehr bekannt geworden seyn. Der König schätzte seine außerordentlichen Talente nach Verdienst, und liebte ihn mehr, als er es um ihn verdient hatte. Schon während des siebenjährigen Krieges war der König wieder mit ihm in Briefwechsel, und dem Anscheine nach im besten Vernehmen. In einer Entfernung von hundert Meilen ging das an; aber in der Nähe würde es bald vorbey gewesen seyn, nicht durch des Königs, sondern durch Voltaires Schuld. D’Argens sagte : Le Roi veut tacher de se faire aimer de lui, mais il ne réüssira pas. Es ist ein Zeichen von des Markis d’Argens gutmüthigem und verträglichen Charakter, daß er mit diesem ungestürmen Manne, so lange sie beide um den König waren, nie einen Zwist gehabt hat.
Ueberhaupt wäre es wohl zu wünschen, daß aus noch verhandenen Nachrichten, der Umgang des Königs mir diesen französischen Gelehrten näher auseinander gesetzet würde. Man würde sehen, daß der König genöthigt war, sich von ihnen zurückzuziehen, weil die meisten nicht selten seine Güte mißbrauchten. Er glaubte an ihnen litterarische Freunde zu finden, in deren Gesellschaft Er die Sorgen der Regierung vergessen, und Geist
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und und Herz in ihrer Konversation öffnen könnte. Aber sie glaubten nun den König ganz als Ihres Gleichen traktiren zu dürfen. Sie wollten ihren Zänkereyen durch Ihn Sanktion geben, waren äußerst indiskret darinn, und wenn seine Ideen nicht die ihrigen waren, so führten sie sich sehr undankbar auf, und zeigten genug, daß sie bloß ihr eigenes Selbst suchten, aber nichts um des Königs willen thaten, den sie nur für ein Mittel ansahen, sich selbst zu heben.
D’Argens hingegen hatte wirklich die herzlichste Zuneigung zum Könige; auch wußte der König dieß sehr wohl, und deßwegen liebte Er ihn vor allen Ausländern. Sie waren sehr vertraut.* Der König scherzte viel mit ihm, und ward auch, wie es seine Art war, zuweilen sehr kaustisch. D’Argens mußte wieder zu scherzen, denn sein Witz stand ihm in der Konversation sehr zu Gebote. Aber er wußte auch an sich zu halten, wenn er merkte, daß der König nicht in der Laune war, sich Repartieen
*Die Nachrichten vom Umgange des Königs mit dem Markis d’Argens und von vielen dahin gehörigen Vorfällen, habe ich theils aus dem Munde des sel. Obersten Quintus Icilius, theils von einem genauen Bekannten des Markis.
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geben zu lassen. Machte es der König aber zu arg, so fuhr er entweder mit seiner provenzalischen Lebhaftigkeit auf, und dann konnte selbst der König vor ihm nicht zum Worte kommen. Oder er schmollte auch wohl einige Tage lang, gab sich für krank aus, und dann schickte der König gewöhnlich mehrmals zu ihm, oder schrieb ihm öftere Briefe, ehe er wieder kam. Auch alsdenn schalt er zuweilen noch wenn er ins Zimmer kam, halb im Scherz halb im Ernst. Der König kam ihm sodann entweder mit offenen Armen entgegen, oder gab ihm treuherzig die Hand. Der König, ob er gleich über des Markis kleine Schwachheiten, besonders über seine eingebildeten Krankheiten sich divertirte, und sich oft ein kleines Fest daraus machte, dessen Zorn zu reizen, weil ihn das lebhafte
Ausfahren desselben belustigte, konnte doch nicht im Ernst böse auf ihn seyn, weil er allzugut
wußte, welch ein ehrlicher Mann, und wie aufrichtig ihm ergeben d’Argens war.
Während seines Aufenthalts am Preußischen Hofe that er drey Reisen nach der Provence. Zu jeder derselben gab ein kleines Misverständniß mit seinem Königl. Freunde Gelegenheit. So bald er aber
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einige Stationen von Potsdam entfernt war, hatte er schon sein Misvergnügen vergessen, und schrieb dann schon dem Könige Briefe voll rührender Ausdrücke der Dankbarkeit und Anhänglichkeit. Er war gewiß, den nächsten Posttag die freundschaftlichsten Antworten vom Könige zu erhalten. Auch dachte er, so sehr er auch gemeiniglich, aus Misvergnügen, auf die Abreise bestanden hatte, doch in den ersten Tagen nach derselben schon an seine Zurückkunft. Er sagte seiner Reisegesellschaft im Wagen : Er habe nun den festen Vorsatz gefaßt, die Einladungen des Königs zur Abendmahlzeit nicht mehr so oft und so ungestüm abzuschlagen; und sehr wahrscheinlich nahm sich Friedrich auch vor, ihn nicht mehr über seine eingebildete Krankheiten so laut zu verspotten : denn das war es, was der Markis am wenigsten ertragen konnte. Die dritte und letzte Reise geschah 1769. Auf derselben war es eben so, und der Markis würde wahrscheinlich wieder zurückgekommen seyn, wenn ihn der Tod nicht übereilt hätte.
In einer Zeit von beynahe dreißig Jahren, die er um den König war, hat er demselben niemals das geringste Mißvergnügen gemacht, als zuletzt dadurch, daß er den König verließ und nach Frankreich
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zurückkehrte. Was ihm noch zu größerm Lobe gereicht, ist, daß er während dieser langen Zeit niemals jemand beym Könige geschadet hat, aber wohl manchem nützlich gewesen ist. Doch war er sehr abgeneigt, sich auf irgend eine Art in Geschäfte zu mischen. Nur selten legte er für jemand Vorsprache ein, oder bat etwas vom Könige. Der König gab ihm das größte Merkmal seines Vertrauens, indem er während des siebenjährigen Krieges fast posttäglich und zuweilen sehr lange Briefe an ihn schrieb. Wenn man recht die Lage des großen Mannes während dieses wunderbaren Krieges bedenkt, wenn man bedenkt, was dabey aufs Spiel stand, welche große Plane durch seinen Kopf gehen mußten, da sich halb Europa wieder ihn verband, wie viele Unglücksfälle er erlitt, welche außerordentliche Rettungsmittel er anwenden mußte, und daß fast seine einzige Erholung und Trost war, die Gedanken, die ihn drückten, in den Schooß seines treuen d’Argens auszuschütten, und dessen Antworten zu lesen; so kann man auf die Richtigkeit der Briefe* und auf die Größe des Ver-
*Einer derselben, welcher nach der Schlacht bey Liegnitz aufgefangen wurde, und oft gedruckt ist,
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trauens gegen diesen rechtschaffenen Mann schließen. Aber d’Argens verdiente auch dieses Vertrauen im höchsten Maaße, wegen seiner Treue und seiner äußersten Verschwiegenheit. Wenn er einen Brief des Königs erhielt, schloß er sich ein, um ihn zu lesen. Man hat mehrmals durchs Schlüsselloch beobachtet, daß er, so ängstlich er sonst die Kälte fürchtete, gemeiniglich seine zwey Mützen vor sich liegen hatte, und den Brief mit entblößtem Haupte las. Er hielt alle diese Briefe sorgfältig verschlossen, und erzählte niemals etwas von deren Inhalt, es müßte denn etwas sehr erfreuliches gewesen seyn, da er dann den enthusiastischen Antheil, den er daran nahm, nicht verheelen konnte. Er sagte mir von dieser Korrespondenz : „Ich hatte den König schon mehrere Jahre gekannt, und wußte, daß er ein großer Mann war; aber erst durch diese Briefe habe ich seinen erhabenen Geist recht kennen lernen. Er ist einzig in seiner Art.“ —*
kann zum Beyspiel dienen. Der Graf Guibert sagt : (Eloge S. 139) qu’il est impossible de s’arracher de cette lettre. Was würde er sagen, wenn er die ganze Sammlung lesen sollte!
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III.
Um ein kleines Beyspiel zu geben, auf welchem vertrauten Fuß der König mit dem Markis d’Argens umging, will ich hier ein scherzhaftes Billet mittheilen, mit welchem ihm der König einen seiner Aufsätze sendete, den er von Thibault* in der Akademie hatte vorlesen lassen.
Um den Anfang des Billets zu verstehen, muß man wissen, daß der König, welcher gewohnt war, seinen Lieblingen Namen beyzulegen**, schon in früheren Jahren den Markis, wenn er denselben in seiner ausgezeichneten liebenswürdigen Laune sah, le divin Marquis zu nennen pflegte; ferner, daß der König oft mit ihm wegen seiner Gelehrsamkeit und Belesenheit scherzte, und darüber spöttelte. Das Billet ist ganz von der eignen Hand des Königs. Es hat kein Datum. Man weiß aber, daß es etwa 1767 oder 1768 geschrieben ist. —*
*Herr Thibault ward vor einigen zwanzig Jahren als Professor der französischen Sprache an die Ritterakademie in Berlin berufen. Wegen seiner guten Aussprache trug ihm der König gewöhnlich auf, was er in der Akademie wollte vorlesen lassen, vorzulesen.
**So nannte er z.B. Suhm, Diaphane, Kaiserling, Caesarion, u.s.w.
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« Votre Divinité permettra, que mon humanité Lui offre un ouvrage lû dans l’Academie. Je vous l’envoye parce qu’il a été lû dans cette assemblée, dont (quoiqu’absent) Vous faites le plus bel ornement. Un ouvrage de Scaliger, ou de Suidas, ou de Freinshemius Vous seroit peut-être plus agréable; je n’en ai point dans ma boutique, et chaque arbre ne peut fournir que les fruits qu’il produit. Contentez-Vous de ceux-ci, et si cela ne Vous fatigue pas trop, continuez Votre bienveillance au pauvre ignorant qui Vous donne ce qu’il a, et qui du pied du sacré Mont, admire votre Divinité, dont la plénitude domine sur ce sommet impérieux qui s’éléve au dessus des nûes.
Fédéric. »
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„Ew. Gottheit wolle erlauben, daß meine Menschheit Hochderselben ein in der Akademie vorgelesenes Werk verlege. Ich schicke es Ihnen, weil es in dieser Gesellschaft ist vorgelesen worden, von der Sie – obgleich abwesend – die schönste Zierde sind. Ein Werk von Skaliger oder Suidas oder Freinshemius würde Ihnen vielleicht angenehmer seyn; ich habe aber dergleichen nicht in meinem Vorrathe, und ein Baum kann keine andere Früchte liefern, als die er hervorbringt. Nehmen Sie mit diesem vorlieb, und wenn es Ihnen nicht zu beschwerlich fällt, fahren Sie fort in Ihrem Wohlwollen gegen den armen Unwissenden, der Ihnen giebt was er hat, und der am Fuße des heiligen Berges Ew. Gottheit bewundert, deren Fülle auf dessen stolzen Gipfel thront, welcher sich bis über die Wolken erhebt.
Friedrich“
IV.
Ich will auch ein Beyspiel von der hypochondrischen Laune des Markis gegen den König geben. Während der zweyten Reise des Markis nach der Provence, da ihn der König gern bald wieder zu-
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rück wünschte, setzte der letzte, im Nahmen des Erzbischofs von Aix, einen Hirtenbrief wider die Freygeister auf, in welchem besonders der Markis d’Argens als ein Ketzer und Atheist abgemalt war, vor welchem alle gute Provenzalen gewarnt wurden. Der König ließ von diesem ganz im erzbischöflichen Kanzleystil abgefaßten Hirtenbriefe eine kleine Anzahl Exemplare drucken, und ließ einige davon ohne Namen an Personen von des Markis Bekanntschaft in der Provence senden, damit dieser Aufsatz ihm durch dieselben zukommen sollte. Die Absicht war theils Scherz, theils daß der Markis, von dem der König vorher vermuthete, daß dessen lebhafte Einbildungskraft die Besorgniß der Gefahr übertreiben würde, den Hirtenbrief vielleicht für wirklich ächt halten, und desto eher zurückkommen sollte. In dieser letzten Absicht that dieser vorgegebene Hirtenbrief viel größere Wirkung, als der König im Sinne hatte. Er hatte nicht daran gedacht, daß man in der Provence nicht so tolerant als in den preußischen Staaten ist, sondern daß die Einwohner mehrentheils bigott-katholisch sind, und daß ein Mandement eines Erzbischofs dort kein Gegenstand des Spaßes seyn kann. Anfänglich ward auch wohl der Hirtenbrief
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in Aix und Toulon wirklich für ächt gehalten. Der Markis lachte anfänglich darüber, als er aber sah, daß viele Einwohner in Aix und Toulon die Sache ernstlich nahmen, so hatte er deshalb einige sehr unangenehme Stunden. Bey seiner Zurückkunft schalt er darüber den König, nach seiner Art, wacker aus. Dieser lachte über diese Schäkerey. Jener aber behauptete immer : Que cela passoit la raillerie.
Einige Zeit vor der dritten und letzten Reise des Markis, da er oft kränklich und mit dem Könige unzufrieden war, und da es zugleich Leute gab, die unter dem Scheine der Freundschaft diese Unzufriedenheit zu vermehren suchten, machte er in einer mißvergnügten Stunde das folgende Gespräch eines Kapuziners mit dem Hauptmanne Don Pedreo, in welchem er seine Lage bey dem Könige nach dem Leben schilderte, und auch den Hirtenbrief, der ihm noch wehe that, nicht vergaß. Er wollte dieß Gespräch dem Könige übergeben, und es vielleicht drucken lassen. Indem er mit diesem Gedanken umging, fiel der König in eine Unpäßlichkeit. Sogleich war sein Mißvergnügen vorüber, und er übergab sein Gespräch dem Könige nie. Furcht war gewiß nicht Ursache daran, denn er hat in mehreren Fällen dem Könige alles gesagt,
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was er sagen wollte. Es war wirklich Gutmüthigkeit : denn, zumal wenn er den König leiden sah, konnte er es nicht übers Herz bringen, Demselben auch nur eine mißvergnügte Viertelstunde zu machen. Ich habe das Gespräch nach der Originalhandschrift des Markis übersetzt.
„Gespräch zwischen einem Kapuziner und einem spanischen Officiere.“
Don Pedro und Pater Irenäus.
D.P. „In Wahrheit, ehrwürdiger Pater, ich hätte mir nie eingebildet, meinen alten Freund Don Lopez in Kapuzinerkleidung wiederzufinden. Seit wann tragen Sie die Kutte?“
P.I. „Kurz darauf seitdem ich Valenzia verlies, wo unser Regiment abgedankt wurde. In Verlegenheit, einen Stand zu finden, worinn ich ruhig leben könnte, und voll Verdruß über alle ausgestandene Sorgen und Kummer, faßte ich endlich den Entschluß, die Welt zu verlassen, und ward ein Mönch.“
D.P. „Aber wie konnten Sie sich zu diesem neuen Stande gewöhnen, der von Ihrem vorigen so weit entfernt ist?“
P.I. „Man gewöhnt sich an alles; Gewohnheit ist die andre Natur. Anfänglich war es mir etwas schwer,
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von allem menschlichen Umgange entfernt zu leben; als ich aber überlegte, was ich in demselben gelitten hatte, so schien mir die Einsamkeit angenehm. Ich war genöthigt, Morgens und Abends Psalmen herzubeten, ich betete sie sehr ruhig und gelassen her; und wenn der Chor vorbey war, that ich in meiner Zelle was mir gefiel. Ich aß gemeine Speisen, aber ich verdauete sie gut, weil Niemand meine Verdauung störte. Ich dachte bey mir selbst : wie viele Leute hast du nicht dasselbe Schicksal in der Welt erfahren sehen, das Gott dem Adam vorhersagte, daß er nemlich im Schweiße seines Angesichts sein Brod essen sollte! Endlich machten Gewohnheit und Nachdenken mit meinen Zustand so angenehm, daß ich jetzt sehr ungern wieder in die Welt zurückkehren würde. Aber Sie, Freund Don Pedro, was haben Sie seit beynahe dreißig Jahren, da ich Sie nicht gesehen habe, gemacht?“
D.P. „Ich trat zwey Jahre nachdem ich Sie verlassen hatte, beym Herzog von Medina Celi in Dienst, und seit dieser Zeit bin ich beständig dabey geblieben.“
P.I. „In welcher Bedienung stehen Sie bey diesem Herzog, und wozu nützen Sie ihm?“
D.P. „Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht. Ich begreife noch nicht, wozu ich diesem Herrn nützlich seyn könnte, es sey denn, daß ich ihm zur Gelegenheit diene, sich durch allerhand Späße zu belustigen. Da mir aber Gott noch nicht alle Selbst-
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verläugnung eines guten Mönchs verliehen hat, so fällt es mir schwerer, mich zu diesen Späßen zu gewöhnen, als Ihnen, Ihre Psalmen zu singen.“
P.I. „Aber, Don Pedro, Spaß ist nur Spaß. Der ehrwürdige Pater Seraphin unser Gardian, sagt sein Späßchen so gut wie ein andrer; indessen ist unser Kloster doch sehr wohl mit ihm zufrieden. Wie sind denn aber seine Späße beschaffen? Verletzen sie auch nicht die christliche Liebe?“
D.P. „Er hat so einige Späße, die den P. Seraphin in Verlegenheit setzen würden, wenn sie ihn beträfen. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Als ich vor einigen Zeit eine Reise nach den estremadurischen Gebirgen unternahm, ließ der Herzog von Medina Celi, um sich einen Spaß zu machen, einen unter dem Namen des Bischofs von Madrid ausgefertigten Hirtenbrief drucken, in welchem dieser Prälat allen Spaniern, die mich antreffen würden, rieth, über mich als einen Freygeist, einen Störer der öffentlichen Ruhe, und einen Feind der Religion geradezu herzufallen. Ich könnte Ihnen noch mehrere von seinen kurzweiligen Dingen anführen, die zwar weniger gefährlich, aber desto kränkender sind.
P.I. „Was dachten Sie aber, als Sie in diesem vorgegebenen Hirtenbrief die bischöfliche Ermahnung fanden, Sie ad majorem Dei gloriam in die andre Welt zu schicken?“
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D.P. „Ich dachte, es wäre allenfalls besser, einen Menschen aus Spaß in Lebensgefahr zu bringen, als funfzig in einem Auto da Fé verbrennen zu lassen.“
P.I. „Der Spaß im Namen des Bischofs von Madrid kommt mir ein wenig stark vor. Was die übrigen Späße betrift, so müßten Sie dem Himmel dafür danken, wenn die Ihre Eigenliebe beleidigen : denn das wird zu Ihrem Seelenheil gereichen. Aber sollten Sie nicht von ohngefähr etwas gethan haben, was Ihnen solche Späße hat zuziehen können?“
D.P. „Ich habe öfter meine Aufführung mit größter Strenge untersucht, und seit den sieben und zwanzig Jahren, die ich im Dienste des Herzogs von Medina Celi bin, habe ich mir niemals etwas vorzuwerfen gewußt. Es müßte denn ein gleich großes Verbrechen seyn, aus Mangel der Gesundheit wie aus Mangel des guten Willens nicht dienen zu können.“
P.I. „Ich weiß nicht, ob es bey den Großen ein Verbrechen ist, krank zu seyn und alt zu werden; aber wenns wäre, so geben Sie sich immer auch deshalb zufrieden. Ich habe in meinem Kloster sieben und zwanzig Jahre hindurch vier bis fünftausend Psalmen verbraucht, und Sie sieben und zwanzig Jahre lang vier bis fünf tausend Späße. Das kommt beynahe auf eins heraus. Das Leben ist ja ohnedas nichts als ein Gaukelspiel, oft mehr traurig als lustig, welches endlich der Tod endigt.“
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V.
Ein einziges Beyspiel von den sonderbaren Ausbrüchen der provenzalischen Lebhaftgkeit des Markis, will ich hier zu seiner Charakterisirung erzählen. Der König hatte ihm während des siebenjährigen Krieges erlaubt, in Sans-Souci zu wohnen, und hatte befohlen, alle Zimmer sollten für ihn geöfnet seyn, ganz wie in seinem Eigenthume. Eben damals hatte der Herr Geh. Rath Cothenius in der Akademie eine Abhandlung von der Schädlichkeit des kupfernen Küchengeschirres vorgelesen. Es ist bekannt, daß die Franzosen alles in kupfernen Kasserollen kochen. Der Markis, dessen sehr lebhafte Einbildungskraft sehr bald erhitzt werden konnte, gerieth in eine solche Angst, vergiftet zu werden, daß er bey Tische beständig davon redete, und seine Gemahlinn so dringend bat, daß er ihr endlich das Versprechen abdrang, alles kupferne Geschirr in seiner Küche mit eisernem zu vertauschen.
Man hat bemerken wollen, daß die Frauenzimmer noch bis jetzt durch die in der That sehr wichtigen Gründe wieder das kupferne Küchengeräthe, noch nicht gänzlich von der Schädlichkeit desselben überzeugt werden, und nicht eben geneigt
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sind, die Einrichtungen in der Küche nach andern Ideen als nach den ihrigen machen zu lassen. Etwas ähnliches mußte wohl der Markis von seiner eigenen Küche vermuthen. Denn, ob ihm gleich die Markise gewiß versichert hatte, es sey wirklich alles Kupfer abgeschaft worden; so fuhr er doch fort, immer von dessen Schädlichkeit zu reden.
Die Familie des Markis lebte auf Sans-Souci zwar vergnügt, aber sehr einsam. An einem Abende hatte die Markise sich, den jungen Leuten, die ein Theil der Familie waren, und einigen andern Personen ein kleines Vergnügen machen wollen, welches in einem Familien-Ball bestand, der in der Wohnung des Königl. Obergärtners (der damals dicht vor Sans-Souci jenseit eines kleinen Grabens wohnte) gegeben werden sollte. Man sagte dieses Vorhaben dem Markis. Er war der gutmüthigste Mann, und gönnte gern andern die Vergnügungen, die er selbst nicht genießen konnte oder wollte. Er hatte also gar nichts wider dieß Vorhaben. Indessen, um seinetwegen sicher zu seyn, weil er doch gemeiniglich seht leicht unruhig und ängstlich ward, so bemerkte gegen Abend einer oder der andere : Das Wetter sey kühle, und der Himmel sey bewölkt. Man wußte schon, daß er
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nach einer solchen Bemerkung glaubte, sich nicht wohl zu befinden. So brachte man ihn bey Zeiten zu Bette, und verließ sich auf seine wirkliche Gesundheit, daß er bald einschlafen würde. Er erwachte aber wieder, weil er immer von Kupfer träumte, und rief seinen alten Bedienten Jean. Er bekam auf öfteres Rufen keine Antwort; denn die Domestiken, welche glaubten er schliefe ruhig, und die bey dem dortigen Aufenthalte auch eben nicht sonderlich viel Veränderung hatten, waren herunter gegangen, so gut sie konnten, dem Balle zuzusehen. Er merkte wohl, dieß würde die Ursache seyn, daß auf sein öfteres Klingeln niemand kam, und war weiter nicht böße darüber. Unglücklicher Weise fiel ihm ein : da jetzt niemand im Hause seyn werde, könne er unvermerkt am sichersten untersuchen, ob wirklich alles Kupfer aus der Küche verbannt sey, wie man ihn mehrmals hatte versichern wollen. Er stand also auf, so wie er im Bette lag, ohne Beinkleider, warf bloß einen Schlafrock über, zündete an seinem Nachtlicht eine Kerze an und ging nach de Küche. Da fand er – welch ein Schrecken! – nicht allein alles voll von kupfernen Kasserollen, sondern auch eine, die noch etwas von einem säuerlichen Ragout enthielt, von
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welchen er glaubte Mittags gegessen zu haben. Darüber gerieth er in den größten Zorn, und um augenblicklich seine Familie zur Rede zu setzen, lief er sogleich, so wie er war, nach dem Orte des Balls. Es ist bekannt, daß man von Sans-Souci herunter sechs Terrassen auf beynahe 150 Stufen herunter steigen muß, daß der Garten noch eine ziemliche Breite hat, bis man an den Graben, und über die kleine Brücke kommt, die man durchs Auftreten niederlassen muß und welche sich durch ein Gegengewicht selbst wieder aufzieht, von wo man denn weiter zu den Gärtnerwohnungen gehen muß. Diesen weiten Weg machte er im Dunkeln, in der größten Geschwindigkeit. Man stelle sich das allgemeine Erstaunen vor, als der alte Markis in dem groteskesten Aufzuge ins Zimmer trat. Er war barfuß; denn er hatte unterwegens die Pantoffeln verloren, dagegen hatte er zwey oder drey wollene Mützen auf dem Kopf, der Schlafrock flog zurück, und er stand da im Hemde ohne Beinkleider. In der Hand hielt er das corpus delicti, die Kasserolle mit den Ueberbleibseln des Ragouts, und schrie aufs heftigste : Je suis empoisonné! * Zu-
*Ich bin vergiftet!
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gleich schalt er so arg er konnte auf die entsetzliche Nachlässigkeit : trotz aller Beweise gelehrter Leute, noch immer in Kupfer zu kochen, welches ihnen allen noch den Tod bringen würde. Man suchte ihn zu besänftigen, aber anfangs ohne allen Erfolg. Da er endlich sich besann, was für einen seltsamen Aufzug er machte, und daß er, der sich so sehr vor kalter Witterung fürchtete, in der Nacht, ohne einige Bedeckung, einen so weiten Weg gelaufen war, so kam er beynahe außer sich. Man sprach ihn möglichst zufrieden, wickelte ihn in Decken ein, und trug ihn wieder in seine Schlafkammer. Er deklamirte den folgenden Tag, wie man leicht denken kann, aufs heftigste gegen die Schädlichkeit des kupfernen Küchengeschirres. Er ließ sich feyerlich versprechen, daß es nun völlig abgeschaft werden sollte; und es ward ihm, wie man ebenfalls leicht denken kann, bestens versprochen. Aber die kupfernen Kasserollen blieben wo sie waren, und man
hütete ihn nur, daß er nicht wieder in die Küche kam.
—*
VI.
Es verdient auch eine merkwürdige Geschichte aus der Familie des Markis d’Argens in Frank-
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reich angeführt zu werden. Sein jüngster Bruder, der, wie gewöhnlich, bey den
Jesuiten* studirt hatte, war daselbst so stumpf bigott, und dabey so fanatisch eifrig geworden,
daß sein Umgang unerträglich wurde. Er predigte in allen Gesellschaften mit Bitterkeit gegen die unschuldigsten weltlichen Freuden. Spatziergang und Tanz schrie er für Sünde aus. Er hatte beständig den Bekehrungsgeist und die Wundersucht des fanatischen heil. Franz Xavier und die Keuschheit des kindichen heil. Aloysius Gonzaga im Munde, und ging in keiner bigotten Devotion für den heil. Aloys so weit, daß er eines Tages heimlich in seines zweyten Bruders des Präsidenten zu Aix Kunstsammlung sich
*Der Markis liebte die Jesuiten nicht. Er kannte ihre Ränke, und die geheimen Mittel, wodurch sie ihre Macht zu unterstützen wissen, sehr genau, und hat mir manches davon erzählt. Nachdem sie 1767 aus Frankreich vertrieben waren, und jedermann der nachher erfolgten Aufhebung entgegen sah, war er der einzige, welcher, auch gegen den König, behauptete : „Selbst wenn dieser furchtbare Orden aufgehoben werden sollte, würde er in
wenigen Jahren unter andern Namen und mit verneuerter Macht wieder empor kommen.“ Der
Erfolg hat genugsam gezeigt, wie richtig er geurtheilt hat.
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schlich, und voll Wuth verschiedene Gemälde und alle Bildsäulen verstümmelte. Dieser war natürlich sehr ungehalten darüber, und der junge Mensch war nicht zu bedeuten, daß er unrecht gehandelt hätte; denn er glaubte immer noch Gott und dem heil. Aloys einen Dienst gethan zu haben. Die ganze Familie war einig, daß der junge Mensch endlich verrückt werden würde, wenn man ihn nicht auf bessere Gedanken brächte; aber wie dieß anzufangen wäre, wußte man nicht : denn die Macht der Jesuiten war viel zu groß, als daß man sich hätte unterstehen dürfen, zu sagen, sie hätten ihn in seiner Depotion irre geführt. Es war ein Bischof in der Familie, der nach einiger Ueberlegung ganz kalt sagte : „Ich werde den rohen Jüngling bald von seiner fanatischen Thorheit aufs sicherste kuriren. Ich werde ihn zum Priester weihen.“ Man begriff nicht, was dieß helfen sollte. „Sehr viel“, versetzte der erfahrne Bischof. „Wann er oft Beichte hört, wird er schon den Lauf der Welt kennen lernen.“ Die Weihung geschah, und zur Bewunderung aller ward der junge Mensch in ein paar Jahren sehr viel billiger und toleranter. Der Markis setzte d’un air goguenard hinzu : „Unsere Weiber in Provence beichten lebhaft und umständ-
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lich; und das fruchtete so viel, daß mein frommer Bruder nichts mehr verstümmeln, und selbst nicht verstümmelt seyn wollte.“
—*
VII.
Im Winter zu Ende des Jahres 1760 und im Anfange des Jahres 1761 nahm der König sein Winterquartier in Leipzig. Seine Sorgen nach einem Feldzuge voll so vieler widriger und glücklicher Vorfälle verließen ihn auch während dieser Erholungszeit nicht; denn er sah das Mißliche seiner Lage wohl sehr genau ein, und er mußte alle Kräfte seines großen Geistes aufbieten, um in dem folgenden Feldzuge gegen seine vielen Feinde Stand halten zu können. Die Mittel dazu mußte er bloß in Sich Selbst finden, da er fast niemand zu Rathe ziehen konnte und wollte. Um sein Gemüth etwas aufzuheitern, ließ er seine Kammermusik zu seinem gewöhnlichen Abendkonzerte, und auch den Markis d’Argens zu einem freundschaftlichen Abendgespräch nach Leipzig kommen.
Der König, äußerst sorgsam für seine Gesundheit, die er im folgenden Feldzuge, wie er wohl wußte, so sehr würde nöthig haben, speisete des Abends gar nicht. Er ließ dem Markis aber die
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Wahl, ob er um halb 8 Uhr nach dem Konzerte in seiner Gegenwart speisen, oder ob er früher zu Hause speisen und um diese Zeit zu ihm kommen wollte. Der Markis wählte das letzte. Eines Abends, da er ins Zimmer trat, fand er den König auf dem platten Boden sitzen, vor ihm eine Schüssel mit Fricassé, aus welcher seine Hunde ihr Abendessen hielten. Er hatte ein kleines Stöckchen in der Hand, mit dem er unter denselben Ordnung hielt, und dem Favorithunde die besten Bissen zuschob. Der Markis trat einen Schritt zurück, schlug die Hände voll Bewunderung zusammen, und rief aus: „Wie werden sich doch jetzt die fünf großen Mächte von Europa, die sich wider den Marquis de Brandebourg verschworen haben, den Kopf zerbrechen, was er jetzt thut? Sie werden etwa glauben, er macht einen für sie gefährlichen Plan zum nächsten Feldzuge, er sammlet die Fonds, um dazu Geld genug zu haben, oder besorgt die Magazine für Mann und Pferd, oder er entwirft Negotiationen um seine Feinde zu trennen und sich neue Alliirten zu schaffen. Nichts von alle dem! Er sitzt ruhig in seinem Zimmer und füttert seine Hunde.“
—*
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VIII.
Als der siebenjährige Krieg geendigt war, und der König nun siegreich zurückerwartet wurde, machten die Einwohner von Berlin zur Einholung desselben Anstalten, die dem Enthusiasmus angemessen waren, den dieser schwere Krieg, und die Geistesgröße des Siegers schon längst erregt hatten. Alle Stände waren in allgemeinem Taumel, um den triumphirenden Einzug des Königs zu vergrößern. Von verschiedenen Personen wurden Kompanien errichtet, zu Fuß und zu Pferde, mit neuen Uniformen. Eine der ansehnlichsten war eine Kompanie zu Pferde, die der bekannte Kaufmann Gottskowski errichtete. Zu dieser gesellete sich auch der Markis d’Argens. Ob er sich sonst gleich sehr selten, außer wenn er zum Könige ging, ankleidete, und damals gewiß in sechs Monaten nicht in die freye Luft gekommen war, ob er gleich seit mehr als zwanzig Jahren nicht geritten hatte, ob ihn gleich jedermann, der ihn kannte, abrieth, diesem Einzuge beyzuwohnen; so ließ er sich doch durch nichts abhalten. Er ließ sich die zur Kompanie gehörige reiche Uniform sticken. Es ward ein sanftmüthiges Pferd ausgesucht, auf demselben übte er sich viele Tage lang auf dem Hofe seiner Wohnung
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im Reiten, und am Tage des Einzugs ritt er wirklich hinaus. Er hatte dem Könige die Anstalten der Einwohner von Berlin gemeldet; auch, daß er Ihm an der Spitze der Kompanie des Gottskowski, entgegen kommen, und ihn bewillkommen würde. Der König that alles mögliche, um den Markis von dieser Expedition abzubringen; aber er ward nur immer eifriger darauf. Endlich schrieb ihm der König einige Zeit vor Seiner Ankunft ausdrücklich, er möchte sich keine Mühe machen und sollte auch den Einwohnern Berlins bekannt machen : Sie möchten sich nicht bemühen, denn Er würde Abends ganz spät kommen, eben um solchem Gepränge auszuweichen, wovon er kein Freund war. Der Markis bemühte sich in seiner Antwort an den König, noch kurz vor dessen Ankunft, Ihn durch viele Gründe zu bewegen, den Einzug anzunehmen, und den Einwohnern Berlins nicht ihre Freude zu verderben. Mit fester Ueberzeugung, daß der König seinen Gründen folgen würde, ritt er getrost heraus. Der Tag der Ankunft des Königs, der 30ste März 1763, war sehr kalt und unfreundlich. Das Getümmel vor dem Frankfurter Thore war unermeßlich. Man hatte den König schon gegen zwey Uhr vermuthet; und da er nicht
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kam, wurde die Erwartung immer mehr gespannt. Gegen 5 Uhr war hin und wieder Mißvergnügen unter den Einholenden deutlich zu merken. Hier und da sammleten sich Leute in kleine Haufen und murmelten allerley. Unter diesem Getümmel stieß ich ohngefähr auf den Markis. Ich würde ihn nicht gekannt haben; denn ich hatte ihn noch niemals anders als unter zwey Schlafröcken und zwey Nachtmützen gesehen, wenn er mich nicht selbst zu sich gerufen hätte. Er machte eine sonderbare Figur in seiner gestickten Uniform und runden Perücke mit einem Zipfelchen. Die Heftigkeit, mir der er deklamirte, war unbeschreiblich. Das kalte Wetter und das Ausbleiben des Königs hatten ihn in die verdrießlichste Laune gesetzt; und dann pflegte er nichts zu schonen. Er schalt auf den König, daß er seinen so wichtigen Gründen nicht habe folgen wollen. Er rief aus, in seiner treuherzigen Lebhaftigkeit: „Ich habs Ihm ja geschrieben, daß Er es Seinem Volke schuldig ist, dessen Liebe anzunehmen! Es ist unverzeihlich, daß Er nicht kommt! Wenn ich Ihn nur erst sehe, so will ich Ihm recht die Wahrheit sagen!“ Alles was man that, ihn zu besänftigen, war umsonst. Endlich, nach einer Stunde, da es für
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ihn wirklich allzukalt ward, bewegten wir ihn, nach der Stadt zu reiten; und noch unterweges schalt er beständig fort bis aufs Schloß, wo er mit den andern Hofleuten den König erwarten wollte. Der König kam bekanntlich erst nach 8 Uhr, als es schon dunkel war, an. Er hatte denselben Nachmittag das Schlachtfeld bey Kunersdorf besehen, wodurch wohl eben nicht heitere Ideen in Ihm mochten seyn erweckt worden. Er hatte geglaubt, der Markis würde Seinen Willen bekannt gemacht haben, daß Er nicht eingeholt seyn wollte; und allenfalls glaubte Er, würden die Einholenden sich zerstreuet, und nicht so spät gewartet haben. Aber Er sah sich von einigen tausend Menschen umringt, so daß sich Sein Wagen kaum gewegen konnte. Die Fackeln, das Geschrey, die Menge kostbar gebundener schlechter Gedichte, die man Ihm überreichen wollte, die Besorgniß, daß Leute im Getümmel zu Schaden kommen möchten: alles setzte Ihn in üble Laune. Er wich in der Stadt aus so bald er konnte, und fuhr durch einen Umwege aufs Schloß.
Nach einigen Tagen sah ich den Markis. Er erzählte ausführlich, wie alles zwischen dem Könige und ihm ergangen wäre, als er Ihn unter vier Augen gesprochen habe, und setzte sehr naiv hinzu :
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„Ich habe Ihm nichts geschenkt, und habe Ihm deutlich genug gesagt, daß Er mir hätte folgen sollen. Er wollte Scherz daraus machen; aber da habe ich Ihn tüchtig ausgescholten* daß Er seinem Volke die Freude verderbt hat. Nun wurde Er aber ernsthaft. Es ist ein sonderbarer Mann! Wenn Er anfängt Gründe vorzubringen, so muß man Ihm recht geben, man mag wollen oder nicht.**“ —*
IX.
Der Markis besaß wirklich so viel eigentliche Gelehrsamkeit, als man selten bey einem französischen homme du monde antrift. In den letzten Jahren seines Aufenthalts in Berlin, wollte er seine Werke heraus geben; und da las er allerley zusammen, besonders blätterte er auch viel in den griechischen Kirchenvätern. Er war gewohnt, mit dem Könige von allem, was er vornahm, zu plaudern, und so sprach er auch jetzt sehr viel zum Lobe der Kirchenväter.
*Seine Worte waren : Il voulut plaisanter, mais je l’ai tancé d’importance.
**C’est un homme singulier, quand il se met à raisonner, il vous force d’être de son avis.
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Der König, der ihn gern anhörte, weil seine Gespräche sehr geschickt waren Ideen zu entwickeln, mochte ihn auch gern necken; weil Ihm die Ausbrüche seiner provenzalischen Lebhaftigkeit zur Belustigung dienten. So ward auch der arme Markis mit seinen Kirchenvätern weidlich aufgezogen, und der König sagte sehr oft : „Kein Wort mehr von Euren Vätern! das sind dicke Bücher, die nichts enthalten, Körper ohne Seele!“* Solche Worte waren immer das Signal, daß der Markis nach seiner Art böse ward, und vom Lobe der Kirchenväter überströmte.
Als das neue Schloß bey Sans-Souci fertig war, hatte der König dem Markis darinn eine Wohnung zurechte machen lassen. Eines Tages sagte Er Ihm sehr gnädig : Er wolle ihn und die Markise in Ihre neue Wohnung selbst einführen und sich dabey eine Tasse Thee von Ihnen ausbitten. Es geschah; der König war ungemein aufgeräumt. Er führte seine Gäste durch die Zimmer, zeigte Ihnen in jedem die Einrichtungen zu ihrer Bequemlichkeit, sagte zuletzt im Schlafzimmer : Er
*Ne me parlés pas de vos Péres! Ce sont de gros livres qui ne contiennent rien, des corps sans ame !
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wolle auch nicht allzulange bleiben, sondern den Markis seiner Bequemlichkeit und seinen Schlafmützen überlassen; und nahm mit einem lustigen Komplimente Abschied*.
In einem der Zimmer war eine kleine auserlesene Handbibliothek aufgestellt. Unter denselben fielen besonders viele prächtig gebundene große Bände in die Augen, welche sehr leserlich die Titel aller Werke der verschiedenen Kirchenväter zeigten. Auch unterließ der König nicht anzumerken : der Markis werde hier seine guten Freunde, die Väter, in aller ihrer Glorie finden. Als der König weg war, ging die Aufmerksamkeit des Markis zuerst auf die Bibliothek, und in dieser auf die prächtigen Ausgaben der Kirchenväter. Was fand er? Alle diese prächtigen Bände enthielten – bloß lediges Papier. —*
X.
Der Markis fing schon während des siebenjährigen Krieges an, sich um die Verdienste der Deut-
*Die Markise ist das einzige Frauenzimmer, das mit ihrer Familie auf einem der Lustschlösser des Königs eigentlich gewohnt hat. Er wünschte ihr daher in dieser neuen Wohnung einen jungen Erben.
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schen in den Wissenschaften und in den Künsten mehr zu bekümmern. Er fragte jedermann darum, ließ sich Auszüge aus einigen Büchern machen, und hat auch in seinen
letztern Schriften vielfältig von den Deutschen mit größter Hochachtung gesprochen. Eben so sprach er von ihnen mit dem Könige, mit dem er gewöhnlich alles abhandelte, was er unter Händen hatte. Er und der Oberste Quintus Icilius waren eigentlich die ersten, welche den König aufmerksam machten, daß seit 1740 eine vortheilhafte Revolution in der deutschen Litteratur vorgegangen sey.
Der Markis ward leicht enthusiastisch, und so ward er es auch für die deutsche Nation. Besonders als im Jahre 1766 eine Menge Franzosen als Accise-Bedienten ins Land kamen, und noch eine größere Menge, worunter freylich zum Theil Abenteurer und schlechte Leute waren, hinzu liefen, in der Meinung, bey uns ihr Glück zu machen; ärgerte der alte Markis sich dermaßen darüber*,
*Er brauchte harte Worte von Helvetius, welcher eigentlich bey seiner Anwesenheit in Berlin dem Könige diesen Rath gegeben hatte. Es kam noch hinzu, daß er gerade zu der Zeit, als die französische Accise-Einrichtung bey uns gemacht ward,
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daß er gar nicht mehr ein Franzose heißen wollte. Er demonstrirte uns, daß er wohl nun für einen Deutschen gelten könnte, da er länger als zwanzig Jahr in Deutschland wohne. Man kann leicht denken, daß ihm Recht gegeben ward.
Einsmals erzählte er mir, daß einer von den jungen hergelaufenen Franzosen ihn mit der Bitte angetreten habe, ihm als Landsmanne durch seine Enpfehlung einen Posten zu verschaffen. Er setzte voll Zorn hinzu : „Ich habe den Kerl zum T.. geschickt! Ich? des Kerls Landsmann? Ich! der ich die Ehre habe ein Deutscher zu seyn!“
—*
XI.
Um diesem guten Manne, den ich immer mehr liebte und schätzte, je mehr ich ihn kennen lernte,
von seiner zweyten Reise aus der Provence zurückkehrte. Die Franzosen waren damals äußerst verhaßt, daher fand er sogar in allen Posthäusern saure Gesichter und kaltsinnige Aufnahme. An einigen Orten, wo man ihn kannte und sonst liebevoll begegnet hatte, ward er mit höhnischen Anmerkungen empfangen, weil man sich wegen seiner Reise nach Frankreich einbildete, er sey der Urheber der damaligen Neuerungen. Dieß machte einen sehr unangenehmen Eindruck auf ihn, der nie ganz ausgelöscht wurde.
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ein Vergnügen zu machen, fiel mir ein, eine deutsche Uebersetzung seiner jüdischen Briefe zu veranstalten. Ich that ihm dieß kund, und er hatte, was ich gar nicht erwarten konnte, eine ganz unglaubliche Freude darüber. Er war damals gerade in seinem größten Eifer für die deutsche Nation, und schätzte es sich zur Ehre, vor derselben noch in seinem Alter mit einem Werke zu erscheinen, welches er mit Recht für sein bestes hielt*. Er bestand darauf, vor der Uebersetzung das Original noch ganz durchzusehen, zu verbessern und zu vermehren. Daher ist in der deutschen Uebersetzung vieles enthalten, was man in allen gedruckten französischen Ausgaben nicht findet. Ich besitze noch das von des Verfassers Hand verbesserte und vermehrte französische Exemplar.
*Als er dieß Buch im Jahre 1735 in Holland schrieb, war ihm der dortige feuchtkalte Winter sehr beschwerlich, und der Geruch des Torfes unerträglich. Er brachte daher, um warm zu seyn, ob er gleich völlig gesund war, den ganzen Winter meist im Bette zu, und so schrieb er den größten Theil dieser jüdischen Briefe. Er blieb völlig gesund dabey, ob er gleich im Essen und Trinken eben nicht die strengste Diät beobachtete.
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Unter andern Nachrichten, die er sich von verschiedenen Personen aus dem neuern Zustande der deutschen Nation hatte erzählen lassen, war auch, daß Bodmer und Breitinger große Verdienste um die Verbesserung des guten Geschmacks in Deutschland gehabt hätten. Der Markis war ein Franzose : die Worte Suisse und bon gout schienen ihm beym ersten Anblicke widersprechend zu seyn,* und er fiel ins Persistiren. Aber er war auch ein billiger und
lehrbegieriger Mann, der sich im Ernste unterrichten wollte. Er hörte also die an, welche ihm
die Beschaffenheit der Werke dieser verdienten Männer erklärten, und erhielt sogar einige Auszüge daraus. Nach seiner Gutherzigkeit : denjenigen, denen er glaubte Unrecht gethan zu
haben, es möglichst wieder gut zu machen, rühmte er nun die schweizerischen deutschen Schriftsteller bey allen Gelegenheiten, auch gegen den König. Desses Beyfall erhielt er leicht dabey; denn der König, zur allgemeinen Uebersicht in allen Dingen so sehr gewöhnt, pflegte auch über die Nationen im Allgemeinen leicht abzusprechen, und da hatte er z.B. die
*Poetes Suisses. L’accouplément seul de ces mots fait rire, sagt Mercier im Bonnet de Nuit. T. IV. S.73.
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Meinung: Die Schweizer wären philosophische Köpfe, und es werde bey den Deutschen mehr durch philosophisches Räsonnement als durch Witz ausgerichtet.
Eines Tages ließ mich der Markis gegen Abend zu einer ungewöhnlichen Zeit bitten, sogleich zu ihm zu kommen. Als ich erschien, nahm er mich mit einer ziemlich ängstlichen Miene bey der Hand, und sagt : Er komme unvermuthet in eine große Verlegenheit, die er mir unverzüglich entdecken müßte. „Ich finde, sagte er, bey Durchsicht der jüdischen Briefe, zwey Briefe, worinn ich auf eine unanständige Art über die Schweizer gespottet habe. Ich war damals ein junger Mensch, der die Schweizerische Nation nicht genug kannte : ich witzelte also über dieselbe; und Sie wissen, in Frankreich wird ein witziger Einfall weiter nicht untersucht*. Aber wie soll ich mit diesen Briefen vor der ernsthaften deutschen Nation erscheinen, vor einer Nation, welche den Schweizern so viel zu danken hat?“ – „Man wird mich verabscheuen!“ setzte er mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit hinzu. Ich sagte ihm ganz geruhig,
*En France on ne raisonne pas sur un bon–mot.
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es würde wohl so arg nicht seyn; wenn er aber doch glaubte, den Schweizern unrecht gethan zu haben, so wäre nichts natürlicher, als in der deutschen Uebersetzung diese beiden Briefe wegzulassen. Er fuhr fort : „Das war es eben was ich wünschte, aber ich traute mir nicht es Ihnen vorzuschlagen. Sie verlieren zu viel dabey; denn man wird sagen, Ihre deutsche Ausgabe sey verstümmelt.“ Ich konnte ihm freylich nicht geradezu sagen, daß ich so sehr viel dabey eben nicht verlieren würde, sondern wendete die Sache nur so, das ich sagte : Er möchte deshalb ganz unbekümmert seyn, ich würde ihm dies kleine Opfer sehr gern machen, zumal da die deutsche Ausgabe durch die vielen Bemerkungen schon große Vorzüge hätte. Er drückte mir sehr treuherzig die Hand, und sagte : „Sie nehmen mir einen Stein vom Herzen; denn ich traute mir nicht, zu hoffen, daß Sie so gefällig seyn würden. Aber Sie sollen doch nichts dabey verlieren. Wissen Sie was? Ich werde zwey andere Briefe machen, darinn werde ich die Schweizer loben*.“
*Ecoutez ! Je ferai deux autres lettres, dans lesquelles je louerai ces gens-là.
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Die deutsche Uebersetzung der jüdischen Briefe, welche ich, wie gedacht, nur veranstaltete, um dem Markis ein Vergnügen zu machen, hatte nachher eine Wirkung, die ich wohl nicht voraus sehen konnte. Sie erregte in den deutschen katholischen Ländern, besonders in Baiern und Oestreich (in welchem letztern Lande damals noch alle einigermaßen freymüthige deutsche Bücher verboten, und folglich unbekannt waren), viel Sensation. Sie wurde häufig gelesen, und half, daselbst den ersten Samen freymüthiger Denkungsart auszustreuen. Es erwachten dadurch, wie ich aus sehr zuverlässigen Nachrichten weiß, nicht wenige Leute zuerst aus der stumpfen Bigotterie, worinn damals diese Länder versunken waren, und welche die Jesuiten durch den abscheulichen Unterricht der Jugend in ihren Schulen, und durch eine Menge, vermittelt des Beichtstuhls, für Frömmigkeit ausgegebener Pfaffereyen bis dahin so kräftig zu unterhalten mußten. Noch bis jetzt wird die Uebersetzung nach dem katholischen Deutschlande verlangt. Das Verdienst eines freymüthigen Schriftstellers steigt sehr oft im Verhältnisse der mangelhaften Begriffe seiner Leser. Den deutschen Protestanten konnten freylich die jüdischen Briefe nicht viel neues sagen.
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XII.
Mein verewigter Freund Moses Mendelssohn ward mit dem Markis, durch mich, ohngefähr
im Jahre 1760 bekannt, und gewann ihn wegen seiner Gutherzigkeit und Naivetät sehr lieb. Der Markis schätzte von seiner Seite den vortreflichen Moses außerordentlich, und sie hatten zuweilen interessante Gespräche, auch wohl über philosophische Gegenstände.
Es war in Berlin ein gelehrter Jude, und Freund Moses Mendelssohns, Raphael. Er trieb keinen Handel, sondern lebte bloß als Sprachmeister, da er der französischen, italiänischen und engländischen Sprache sehr kundig war. Durch öftere freymüthige Reden wider mancherley jüdischen Aberglauben, zog er sich das Mißfallen der Rabbiner und Judenältesten zu, welche gegen Ende des siebenjährigen Krieges es mit Ernst darauf anlegten, ihn von Berlin zu vertreiben. Um ihm einigen Schutz zu verschaffen, machte ihn Moses mit dem Markis d’Argens bekannt, der ihn bald sehr lieb gewann, sich von ihm im Hebräischen unterweisen ließ, sich fast täglich mit ihm von Litteratur, besonders von der deutschen unterhielt, und ihn gewöhnlich seinen Engel Raphael nannte.
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Dieß war genug, daß die Judenältesten vor der Hand sich nicht getrauten ihn anzutasten.
In den Unterredungen mit Raphael kam der Markis auch auf die Toleranz. Er bezeugte sein Erstaunen, daß in den Staaten Friedrichs des Großen noch Intoleranz herrsche. Er glaubte, die Judenältesten hätten nur die Abwesenheit des Königs mißbrauchen wollen, um den guten Raphael aus Berlin zu vertreiben. Er wunderte sich aber nicht wenig, zu hören, daß die Judenältesten durch die Gesetze nicht allein berechtigt, sondern auch sogar verpflichtet sind, jeden Juden, der nicht entweder ein Schutzprivilegium hat, oder im Dienste eines Schutzjuden ist, ohne weitere Rechtsform, in der ersten Stunde, wo der Policey die Anzeige geschiehet, durch dieselbe aus der Stadt bringen zu lassen*.
*In jeder andern Stadt, wo der Jude kein Schutzprivilegium hat, geschiehet eben dieses, und so wird jeder fremder Jude endlich bis an die Gränze des Landes gebracht. Der Sinn des Gesetzes ist : daß der Jude an den Ort seiner Geburt zurückkehren soll, wo er den Schutz hat. Raphael pflegte zu sagen : „Ich bin in einem Dörfchen in Polen geboren, das abgebrannt ist. Also habe ich keinen Geburtsort.“
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Der Markis konnte immer noch nicht begreifen, daß dieß Gesetz ohne allen Unterschied angewendet würde; er fragte endlich : „Aber unser lieber Moses* ist doch wohl nicht in dem Fall?“ Raphael antwortete : „Allerdings! er wird hier bloß geduldet, weil er in Diensten der Wittwe Bernhard ist. Wenn diese ihn heute aus ihrem Dienste entläßt, und er keinen andern Schutzjuden finden kann, welcher ihn in seinen Dienst nehmen will; so muß er, wenn die Judenältesten es noch heute der Policey anzeigen, und seine Wegschaffung verlangen, noch heute die Stadt verlassen. Der Markis war darüber außer sich. Der edle Mann konnte den Gedanken nicht ertragen : daß ein Philosoph, daß ein so weiser und gelehrter Mann, den jeder Rechtschaffene hochschätzen müßte, täglich in der Gefahr seyn sollte, sich auf so niedrige Art behandelt zu sehen. Er wollte es eher nicht glauben, bis es ihm Moses selbst bekräftigte, welcher in dem ihm eigenen edlen ruhigen Tone hinzu setzte : „Sokrates bewies ja seinem Freunde Kriton*, daß
*Er pflegte Moses Mendelssohn gewöhnlich notre cher Moyse zu nennen.
*S. Platons Phädon, oder auch Moses Phädon S. 172.
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der Weise schuldig ist, zu sterben, wenn es die Gesetze des Staats fordern. Ich muß also die Gesetze des Staats, worin ich lebe, noch für milde halten, daß sie mich bloß austreiben, im Fall mich, in Ermangelung eines andern Schutzjuden, auch nicht einer von den Trödeljuden in der Reezengasse für seinen Diener erklären will.“
Den Markis frappirte diese Lage der Sache aufs äußerste; und er war so sehr davon gerührt, daß er noch während des siebenjährigen Krieges deshalb an den König schreiben wollte. Er ward mit einiger Mühe davon abgehalten, weil man voraus sah, daß dieß nicht die rechte Zeit seyn würde.
Nach wiederhergestelltem Frieden dachte der Markis selbst wieder daran, und verlangte, daß Moses Mendelssohn eine Bittschrift aufsetzen möchte, die er selbst übergeben wollte, ob er gleich sonst nie sich damit abgab, Bittschriften zu übergeben. Moses wollte sich erst nicht
dazu verstehen. Er sagte : „Es thut mir weh, daß ich um das Recht der Existenz erst bitten soll, welches das Recht eines jeden Menschen ist, der als ein ruhiger Bürger lebt. Wenn aber der Staat überwiegende Ursachen hat, Leute von meiner Nation nur in gewisser Anzahl zu dulden; welches Vor-
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recht kann ich vor meinen übrigen Mitbrüdern haben, eine Ausnahme zu verlangen?“ Indessen stellten Moses Mendelssohns Freunde ihm vor, daß er ein Hausvater sey, und für das Wohl seiner Famillie diesen Schritt thun müsse. Er ließ sich endlich überreden. Ich vermuthe, es werde den Lesern nicht unangenehm seyn, diese Bittschrift wörtlich hier zu lesen :
„Ich habe von meiner Kindheit an beständig in Ewr. Majestät Staaten gelebt, und wünsche, mich auf immer in denselben niederlassen zu können. Da ich aber ein Ausländer bin, und das nach dem Reglement erforderliche Vermögen nicht besitze, so erkühne ich mich allerunterthänigst, zu bitten :
Ew. Königl. Majestät wollen allergnädigst geruhen, mir mit meinen Nachkommen Dero allerhöchsten Schutz nebst den Freyheiten, die Dero Unterthanen zu genießen haben, angedeihen zu lassen, in Betrachtung, daß ich den Abgang an Vermögen, durch meine Bemühungen in den Wissenschaften ersetze, die sich Ew. Maj. Protektion vorzüglicher Weise zu erfreuen haben.“
Der Markis übergab diese Bittschrift selbst dem Könige im April 1763; aber Moses bekam keine Antwort. Wir waren alle darüber betroffen; und ich gestehe, der sonst so sanfte Moses war hierüber
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ziemlich empfindlich, und machte uns, die wir ihn dahin gebracht hatten, wider seinen Willen den Schritt zu thun, gewissermaßen Vorwürfe. Die Sache blieb so einige Monate, weil der Markis voraussetzte, die Bitte sey gewährt worden, und weil Moses auf keine Weise weiter einen Schritt thun, oder auch nur an den Markis, der in Potsdam wohnte, etwas darüber wollte gelangen lassen. Im Julius 1763 sprach der Markis von ohngefähr mit einem von Moses Freunden, und von dessen erhaltenem Schutzprivilegium. Dieser sagte mit Achselzucken : der König habe auf die Bittschrift nicht einmal geantwortet. Der Markis wollte dieß erst gar nicht glauben; da es ihm aber auch von andern bekräftigt ward, so gerieth er in großen Zorn, und rief mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit aus : „Nein das ist zu arg! Da erkenne ich Ihn gar nicht! Wenns aber so ist, so soll Er mir es nicht umsonst gethan haben!“
Als der Markis denselben Abend zum Könige kam, fing er schon beym Eintritt ins Zimmer an zu schelten. Der König, der nicht wußte, was er wollte, bezeugte ihm sein Befremden. „Ach!“ rief der Markis aus, „Sire, Sie sind doch sonst gewohnt Wort zu halten. Sie wissen, daß ich
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so sehr selten etwas von Ihnen bitte. Nun habe ich einmal etwas von Ihnen gebeten, nicht für mich, sondern für den rechtschaffensten würdigsten Mann. Sie versprachen auch, es zu gewähren, und hernach thun Sie es doch nicht. Nein! das ist zu arg! darüber muß ich wohl unzufrieden seyn.“
Der König versicherte, Moses habe das Schutzprivilegium erhalten. Der Markis aber versicherte, Moses habe auf seine Bittschrift keine Antwort bekommen. Endlich zeigte sich, daß ein bloßes Mißverständniß bey der Sache war. Der König sagte, die Bittschrift müsse durch einen ungewöhnlichen Zufall verloren gegangen seyn*. Moses solle nur noch eine Bittschrift übergeben, sodann wolle er das
*Der König pflegte, wenn er mit jemand von Geschäften zu sprechen hatte, denselben früh Morgens oder des Vormittags zu sprechen. Mit denjenigen Leuten, die er des Abends kommen ließ, unterhielt er sich bloß zu seiner Erholung, und alsdann dachte er nicht an Geschäfte. Da ihm der Markis die Bittschrift des Abends gegeben hatte, so hatte vermuthlich der König des andern Morgens sich nicht mehr daran erinnert, und sie war daher wohl unter andern Papieren verworfen und also ganz vergessen worden.
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Privilegium auszufertigen befehlen. „Gut, Sire!“ sagte der Markis, „ich werde Ihnen selbst eine Bittschrift machen. Aber verlieren Sie sie nicht
wieder.“* Moses schrieb also auf wiederholtes Verlangen des Markis unterm 19. Julius seine Bittschrift nochmals ab, und der Markis fügte unter seinem eigenen Namen folgendes hinzu :
« Un Philosophe mauvais catholique, supplie un philosophe mauvais protestant, de donner le privilège à un philosophe mauvais juif. Il y a dans tout ceci trop de philosophie, pour que la raison ne soit pas du coté* * de la demande. »
Darauf erhielt Moses unterm 26 Oktbr. das Privilegium. Die Chargenkasse verlangte von ihm verordungsmäßig tausend Reichsthaler Gebühren. Diese erließ ihm der König auch im folgenden Jahre 1764.
*Eh bien! Sire! Je vous serai moi-même un placer, mais ne le perdez pas !
**Ein nicht sehr katholischer Philosoph, bittet einen nicht sehr protestantischen Philosophen, einem nicht sehr jüdischen Philosophen das Schutzprivilegium zu geben. Es ist so viel Philosophie dabey, daß es die Vernunft gewiß billigt.
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Im Jahre 1779 supplicirte Moses, aus Liebe für seine Kinder, beym Könige unmittelbar:
„Sein Privilegium auf seine Nachkommen beiderley Geschlechts auszudehnen, nach Inhalt der General-Schutz-Privilegien.“
Dieß schlug ihm der König ab*. Aber König Friedrich Wilhelm II ertheilte es, auf Ansuchen der Wittwe des Philosophen, im Jahre 1787.
—*
XIII.
Der Markis war einige sechszig Jahre alt, seine Kränklichkeit nahm zu, das kalte nördliche Klima ward ihm immer beschwerlicher : er wünschte sein liebes Vaterland die Provence wieder zu sehen, besonders auch um seine Gemahlin in solche Lage zu setzen, daß sie nach seinem Tode mit Anstand leben könnte. Es kam hinzu, daß der König auch älter ward, und nicht selten etwas wunderlich war. Er söhnte sich zwar allemal bald wieder mit dem Mar-
*Die verschiedenen dieß Privilegium betreffenden Umstände, habe ich aus öffentlichen Akten gezogen; ausgenommen die Bittschrift des Markis d’Argens, die der Kabinetsorder vom 24. Oktbr. 1763 nicht beygelegt ist.
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kis aus. Dieser war doch aber bey zunehmendem Alter über manche Vorfälle empfindlicher als in jüngern Jahren, wo er alles bloß von der lustigen Seite angesehen hatte. Es ward ihm beschwerlich, Abends zur gesetzten Stunde dem König aufwarten und mit ihm speisen zu müssen, wenn er lieber seiner Gesundheit und Bequemlichkeit gepflegt hätte; kurz, er war des Hoflebens satt, und sehnte sich nach Ruhe. Ich erinnere mich einer interessanten Unterredung hierüber, in welcher er mir einen Theil der Begebenheiten seiner jugendlichen und männlichen Jahre mit der gutmüthigen Beredsamkeit eines alten Mannes erzählte, der auf sein beynahe zu Ende gehendes Leben zurück denkt. Er schilderte besonders mit lebhaften Farben das wenige wahre Gute, und die großen Beschwerlichkeiten des Hoflebens, welches er seit dreißig Jahren genug hatte kennen lernen. Er sagte endlich*: „Der Umgang mit den Großen hat etwas mit der Natur der Sünde gemein. Anfänglich scheint er sehr ange-
*La Societé des Grands, est de la nature des pechés. Dans le commencement elle semble être bien agréable. Mais dès que le premier agrement est passé, elle trouble vôtre repos.
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nehm, aber, wenn die erste Annehmlichkeit vorüber ist, macht er sehr unruhig.“ Er fing schon im Jahre 1768 verschiedenemal an mit dem König davon zu sprechen, daß er wohl auf ein Jahr eine Reise nach Frankreich machen möchte; der König wollte aber nichts davon hören, weil er befürchtete, der Markis möchte nicht zurück kommen. Endlich schrieb er einigemal an den König, und bat um Urlaub zu dieser Reise. Aber er bekam niemals schriftliche Antwort. Der König suchte es ihm mündlich auszureden, und sagte ihm mehrmals: „Er könne ihn nicht von sich lassen.“
Nachdem der Markis deshalb lange mit dem König unzufrieden geworden war, und nicht wußte, wie er auf gute Art zu seinem Zwecke gelangen sollte; so fiel ihm, der selbst in allen Stücken so billig dachte, plötzlich ein, der König könnte doch wohl eine hinlängliche Ursache
haben, ihn zurück zu halten. Er erinnerte sich, daß er eine ansehnliche Sammlung der vertrauten Briefe des Königs besaß, und glaubte, dieß sey die Ursache, warum ihn dieser nicht von sich lassen wolle. Sogleich holte er sie hervor, las sie sämtlich nochmals durch, und legte sie mit größter Sorgfalt jahrweise in chronologischer Ordnung. Er brachte mit dieser Arbeit
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einige Wochen zu, in welcher Zeit er nicht aus dem Zimmer ging. Als er alles in Ordnung hatte, schrieb er an den König :
„Er habe bisher noch ein schätzbares Pfand des Vertrauens, dessen ihm der König gewürdigt habe, besessen. Er wolle es hiermit dem Könige wieder zustellen, weil es sich nicht ziemen würde, dasselbe mit sich in ein fremdes Land zu nehmen. Durch seine beständige Kränklichkeit sey er außer Stand gesetzt, dem König ferner nützlich zu seyn, und er sey überzeugt, dieselbe werde nur in einem gelindern Klima erträglich werden. Er bitte daher den König um seinen Abschied, danke Ihm für die viele genossene Gnade, und versichere, daß Ihm sein Herz dafür ewig ergeben bleiben würde.“
Diesem Briefe war das Paket aller Briefe des Königs versiegelt beygefügt. Dem Könige traten Thränen in die Augen, als er diesen Brief las. Er rief aus : „Wie? Denkt der alte Mann ich werde nicht Geld genug haben, ihm, so lange er lebt, seine Pension zu zahlen!“ Er schrieb einen rührenden Brief an den Markis, worinn er ihm Urlaub zur Reise, aber nicht den Abschied ertheilte. Er bat ihn, seine Gesundheit möglichst zu pflegen, und setzte hinzu, wenn er wieder zu ihm kommen
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könne und wolle, so würde es ihm eine wahre Freude seyn. Zugleich sendete er ihm das Paket der Briefe unentsiegelt zurück, und versicherte dem Markis, daß er noch sein ganzes Vertrauen habe, und daß Er daher diese Briefe nicht zurücknehmen könne und wolle.
Der Markis reisete im Jahre 1769 nach Frankreich. Der König war so gerührt, daß er ihn nicht wollte persönlich Abschied nehmen lassen, sondern es schriftlich that. Der Markis dachte so delikat, daß er die Briefe des Königs, ungeachtet der König sie ihm nochmals wiedergegeben hatte, nicht mit sich nehmen wollte, sondern sie jemand in Verwahrung gab. Wenn man dieses so redliche und vorsichtige Verfahren des Markis gegen das Betragen Voltaire’s hält; so fällt nur allzusehr in die Augen, wer von beyden den König wahrhaftig geliebt habe, und welcher wirklich dankbar gewesen sey.
D’Argens lebte in Frankreich etwas über ein Jahr, meistens zu Eguilles, eine kleine Meile von Aix. Den Winter zu Ende 1770 wollte er bey seiner zweyten Schwester, der Baronesse de la Garde, auf einem Gute nahe bey Toulon zubringen. Es stieß ihm aber bald ein Fieber zu. Er ward deswegen nach Toulon gebracht, wo er aber im Anfange
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des Jahres 1771, wie man glaubt, aus Ungeschicklichkeit des Arztes, starb.
Der Markis war ein Mann von ansehnlicher Länge und wohl gewachsen. Er hatte eine offene Physiognomie, welche Jovialität, Gutmüthigkeit und große Lebhaftigkeit ankündigte. Sein Großvater, der Markis de Boyer, war ein großer Kenner der schönen Künste. In seinem Hause wohnten beständig Baumeister, Maler, Bildhauer und Musiker. Er hatte auch einige von diesen Künstlern beständig im Gehalte, wovon im Familien-Pallaste zu Aix noch jetzt Denkmäler zu finden sind. Diese erweckten bey seinem ältesten Enkel die Liebe zu den Künsten. Er gab daher auch gern guten Künstlern in seinem Hause zu Potsdam Zutritt, und empfahl sie dem Könige so viel er konnte. Auch waren die meisten Stunden des Tages in seinem Hause, nebst der Lektur, der Malerey und Musik gewidmet. Seine Gemahlin übte beide Künste auf eine vorzügliche Weise, so wie auch seine Tochter. Er las gern seinen Hausgenossen vor, und begleitete diese Lektur mit mündlichen Anmerkungen. Wenn er während des letztern Winters, den er in Potsdam zubrachte, Abends beym Könige speisen sollte, so as er des Mittags nichts, als
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eine Suppe, weil ihm zwey Mahlzeiten des Tages beschwerlich fielen. Während seine Hausgenossen dann zu Mittag aßen, las er ihnen Plutarchs Leben großer Männer in Daciers Uebersetzung vor, um ihnen Vergnügen zu machen. Er ward in seiner ganzen Familie wie ein Patriarch verehrt, und wie ein Vater geliebt; und er verdiente beides. Er selbst liebte den König bis zu seinem letzten Athemzuge. So sehr es ihm in der Provence gefiel, so dachte er doch immer nach Potsdam und an den König mit wahrer Zärtlichkeit und Sehnsucht, und war wirklich willens zurückzukommen, wenn ihn nicht der Tod übereilt hätte. Der König liebte ihn ebenfalls, und sendete nach seinem Tode der Wittwe eine ansehnliche Summe, um ihm in seinem Vaterlande ein Denkmal von Bildhauerarbeit errichten zu lassen. —*
Nicolai kommt an anderen Stellen seiner Anekdoten noch wiederholt auf d'Argens zu sprechen:
Heft 1 (1788), S. 202-203 (über die Begräbnisstätte Friedrichs II.):
Ich habe es aus dem Munde des Markis d’Argens schon vor mehr als zwanzig Jahren gewußt, aber nie davon geredet, weil es mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauet war. Der König wollte in diese Gruft begraben werden. Er sagte es d’Argens mehrmals, und d’Argens bat sich aus, selbst unter der schönen marmornen Vase von Ebenhecht,* im Garten von Sanssouci sein Grab zu finden. Der König versprach es Ihm, und würde es gewiß gehalten haben, wenn d’Argens in Potsdam gestorben wäre.
*Sie steht an einem grünen Gange, gleich wenn man vom Kavalierhause rechts herab kommt. S. Salzmanns großen Grundriß des Gartens von Sanssouci N. 62. und die Beschr. von Berlin und Potsdam III. Bd. S. 1222.
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Noch mehr! diese Gruft, deren Existenz so wenige Personen wußten, war wahrscheinlich die eigentliche Veranlassung, diesem Orte die Benennung Sans-Souci zu geben. Der König gab diese Benennung dem Hause noch nicht als es gebauet ward. Er nannte es Sein Lusthaus, Sein Weinbergslusthaus*. Als Er, noch im Anfange der Erbauung des Schlosses, einst mit d’Argens auf diesem Platze spatzierte, sagte Er Ihm : Da Er den Entschluß gefaßt, auf diesem angenehmen Flecke sich einen Sommeraufenthalt zu bauen, so sey auch gleich Seine Idee gewesen, Sein Grab daselbst einzurichten. Quand je serai là, sagte Er, indem Er auf die verborgene Gruft zeigte, je serai sans souci !
*Man sehe des Herrn Oberbaurath Rangers Baugeschichte von Potsdam, die jetzt unter der Presse ist, im I. Theil S. 46. 48. Die Anlage zu den Weinstöcken an der Anhöhe auf der das Schloß Sanssouci gebauet ist, war, nebst der obenerwähnten Gruft, das erste was im J. 1744 gemacht ward.
Heft 3 (1789), S. 263-265 (über 'des Königs Gefühl für Billigkeit, nach einerm Bericht d'Argens'): Ich will drey Beyspiele von des Königs Gefühl für Billigkeit hier anführen, die der Markis d’Argens erzählte. In des Königs Korrespondenz sind unzählige Beweise von diesem Gefühle.
Der König sagte, als einmal bey der Tafel von gerichtlichen Untersuchungen gesprochen ward : daß man wohl jemand zwingen könne, eine That einzugestehen, daß aber niemand eigentlich genöthigt werden dürfe, alle seine Bewegungsgründe anzugeben; indem jedermann ein natürliches Recht habe, sein Geheimniß zu bewahren. – d’Argens.
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Es war dem Könige verdrießlich, daß die Allee zum Haupteingange von Sanssouci bey der Anlage nicht anders konnte geführet werden, als daß sie einen Winkel machte. Es wurden bey der Tafel des Königs von seinen Günstlingen verschiedene Vorschläge gethan, wie solchem abzuhelfen wäre. Die Schwierigkeit lag vorzüglich in der unüberwindlichen Liebe einer armen Frau zu ihrem kleinen Hause, einem Erbstücke, welches sie um keinen Preis dem Könige verkaufen wollte. Der General Graf Rothenburg behauptete : der König könne sie zwingen, einen dreyfachen Ersatz des Werths, oder ein viel besseres auf einer andern Stelle dafür anzunehmen. D’Argens ward hierüber aufgebracht, und behauptete mit der ihm eigenen provenzalischen Lebhaftigkeit : Die Könige dürften niemanden das Seinige, auch gegen bessern Ersatz, mit Gewalt nehmen, denn sonst könnte man es auch bald von einem Hause auf die Frau und Tochter eines Mannes anwenden, wo offenbar der mehrere Werth an Gelde nicht das Verlorne ersetzt. – Der König sagte : „d’Argens hat Recht.“ Die Allee macht noch jetzt einen Winkel. – d’Argens.
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Der König war gegen seine Bedienten oft sehr unwillig über kleine Fehler, wenn sie aus Nachläßigkeit geschahen. Z.B. wenn ein Teller oder Tasse zerbrochen ward. Als aber einst ein Bedienter mit einem Arme voll Geschirr von einem sehr kostbaren Porcellanservis, auf dem polirten Boden des Zimmers ausglitt und alles zerbrach, sagte Er kein Wort darüber. – Einmal schüttete ein Bedienter beym Auftragen der Speisen, ohne seine Schuld, weil ein anderer, auch ohne daß es zu vermeiden war, an ihn stieß, einem der Gäste des Königs, Brühe über das Kleid. Beide Bedienter wurden blaß, und kamen ganz außer Fassung. Als sie weg waren, sagte der König zu dem Begossenen : „Es thut mir leid, daß Sie einen Fleck haben; aber die beiden Leute erschracken doch auch ganz entsetzlich. Ich sah es, daß sie beide ohne Schuld waren. – d’Argens.
Heft 3 (1789), S. 292-297 (über d'Argens' Kupferstichsammlung und Gottkowski):
Nach dem siebenjährigen Kriege, zu der Zeit da Gottskowski, nach der ersten Behandlung mit seinen Kreditoren, bald wieder ziemlich in Verfall kam, wollte er dem Könige gern ein wirklich gutes Gemälde, aber um einen ansehnlichen Preis verkaufen. Er bat den Markis d’Argens, dem Könige solches vorzuschlagen und zu empfehlen. Er erbot sich zugleich, wenn der Kauf zu Stande käme, dem Markis die Sammlung von der Dresdner Gallerie zu schenken, weil er wußte, daß derselbe seine schon sehr beträchtliche Sammlung von Kupferstichen gern damit vermehren wollte. Der Markis wollte ungern sich mit dieser Sache befassen; doch that er es endlich, um Gottskowski, gegen den er sehr freundschaftlich gesinnt war, zu helfen. Als er denselben Abend zum Könige ging, stellte er Demselben die Lage des Mannes vor,
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rühmte das Gemälde nach seinem Werthe, sagte aber dem Könige auch geradezu, welchen Vortheil er haben würde, wenn es der König kaufte. Der König sagte lachend zu den übrigen Anwesenden : „Ich muß schon das Bild theuer kaufen, damit der Markis die Dresdner Gallerie in seine Kupferstichsammlung bekommt.“ Er kaufte es nachher auch wirklich. -*
XXXIX.
Im neuen Schlosse bey Sanssouci, im untern Geschosse im Koncertzimmer,* siehet man fünf große Gemälde von Solimena, welche in die vergoldete Boiserie eingesetzt sind. Es sind folgende Vorstellungen : Diana und Endymion, Acis und Galathea, Venus du Adonis, Zephyr und Flora, Bakchus und Ariadne.
Die Geschichte dieser Gemälde ist sonderbar. Der Römische Kaiser Franz hatte sie im Jahre 1759 oder 1760 gekauft, und hatte sie in seinen Zimmern in einem Luftschlosse, (wenn ich nicht irre,
*Nach dem Grundrisse bey der Beschreibung von Berlin und Potsdam ists Ro. 17. S. den III. Band S. 1139.
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in Laxenburg) aufstellen lassen. Der Kaiserinn Maria Theresia, welche bekanntlich sehr devot, und besonders in ihren Begriffen von der Keuschheit, und von dem was unreine Gedanken erregen könnte, höchst strenge war, schienen die nackenden Figuren auf diesen Bildern sehr anstößig; und so wohl Sie als der Beichtvater des Kaisers, der bekannte Jesuit P. Parhammer, wendeten alles an, um Ihn zu bewegen, diese Bilder aus Seinen Zimmern wegzuschaffen : aber Er wollte sich nicht dazu bereden lassen. Endlich, sagt man, nahm die Kaiserinn den Vorwand von einer Feyer des Namenstages des Kaisers, seine sämmtlichen Zimmer in seiner Abwesenheit anders und prächtiger möbliren zu lassen; und auf diese Art wurden die Gemälde auf eine ungezwungene Weise weggeschaft. Die Kaiserinn schenkte sie an einen Ihrer Kammerdiener, mit der ausdrücklichen Bedingung, sie gleich aus dem Lande zu schaffen, der sie denn durch einen Unterhändler an Gottskowski in Berlin verkaufte. Dieser ließ sie bald nach dem siebenjährigen Kriege, bey einer Gelegenheit dem Könige an einem dritten Orte vorzeigen; dem sie aber nicht gefielen, weil sie von der ersten Manier des Solimena sind, und nicht ein Kolorit haben, wie
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es der König eigentlich liebte. Gottskowski, welcher die Bilder gern verkaufen wollte, addressirte sich ein paar Jahre nachher an den Markis d’Argens, um sie dem Könige zu empfehlen. Der Markis wollte sich lange damit nicht befassen. Endlich gab es eine gute Gelegenheit.
Der König führte einmal den Markis im Jahre 1768 durch die Zimmer des neuen Schlosses, deren Möblirung zum Theil noch nicht ganz fertig war. Er zeigte ihm in jedem Zimmer wie Er es angeordnet hatte, und bey denen die noch nicht fertig waren, erzählte Sie ihm, wie sie sollten eingerichtet werden, und wie jedes aussehen würde. Nur bey dem Koncertzimmer war Er noch unentschlossen. Es sollte wie gewöhnlich boisiret*, und einige Gemälde in die Täfelung eingesetzt werden. Nun sagte der König : Es wäre Ihm verdrießlich, daß sich unter seinem Vorrathe von
*Der König ließ alle seine Koncertzimmer ganz austäfeln, weil in solchen mit Holz getäfelten Zimmern die Musik am besten klingt. Merkwürdig ist es, daß Er zugleich in alle Koncertzimmer Seiner Schlösser auch Gemälde hängen ließ. Er wollte zwey Sinne zugleich vergnügen.
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Gemälden gerade keins von der Größe fänden, wie sie sich dahin schickte; Er wäre zwar erst willens gewesen, sich ausdrücklich Gemälde dazu malen zu lassen; aber es würde Ihm unangenehm seyn, so lange auf deren Endigung zu warten, da Er gern das ganze Schloß fertig haben und brauchen wollte. Hier sagte d’Argens : „Sire, ich glaube, ich habe gefunden, was Sie suchen. Gottskowski hat fünf Gemälde von Solimena, welche gerade die Größe haben werden, daß sie sich in dieses Zimmer schicken.“
Der König ließ sich darauf diese Bilder zum Ansehen bringen. Bey Erblickung derselben sagte Er gleich : Er habe diese Bilder schon irgend einmal gesehen. Der Markis widerstritt dieses als unmöglich, weil sie Gottskowski aus Oestreich bekommen hätte. Denn Gottskowski hatte zwar dem Markis die Geschichte dieser Bilder in Oestreich erzählt, aber ihm nicht gesagt, daß er diese Gemälde dem Könige schon einmal am dritten Orte, als sie von ungefähr, hatte zu Gesicht kommen lassen; sonst würde er sich noch weniger damit befasset haben. Der Markis erzählte nun dem Könige
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die Geschichte von der Kaiserinn auf eine launigte Art, die den König belustigte. Der König ließ sich überreden, Er müsse sich darinn irren, daß Er glaube, diese Stücke gesehen zu haben, und kaufte sie endlich, ungeachtet sie Ihm sonst nicht sehr gefielen; hauptsächlich weil sie von der Größe waren, die Er gerade brauchte, vielleicht auch mit darum, weil sie dem Kaiser Franz gehört hatten.
—*
Heft 5 (1791), S. 123-126 (Berichtigung einer Anekdote über einen Streich, den Friedrich II. zusammen mit d'Argens und anderen um 1745 dem Treptower Prediger Blankmeister gespielt haben soll):
XXIV.
Voltaire erzählt in seiner elenden und mit Unwahrheiten angefüllten Vie privée de Fr. II. S. 44 folgende Geschichte: Ein Prediger auf einem Dorfe unweit Stettin, habe wider den König unter dem Namen Herodes gepredigt. Darauf wäre derselbe nach Potsdam vors Konsistorium citirt, und durch zwey Grenadiere dahin gebracht worden. Der König selbst, nebst Argens und Pöllnitz hätten sich in Kragen und Mäntel als geistliche Konsistorialräthe verkleidet, und der König hätte ihn im Namen Gottes gefragt: Wider welchen Herodes er gepredigt habe, ob gegen Herodes den ersten oder den andern; und da der Dorfprediger nicht habe antworten können, hätten ihm die verstellten Konsistorialräthe gesagt: Er verdiente abgesetzt zu werden, man wolle diesmal für ihn
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bitten, wofern er aber wieder gegen jemand predigte, den er nicht kennte, sollte er exkommunicirt werden. Man habe ihm darauf eine Sentenz ausgefertigt, die mit drey lächerlichen Namen unterschrieben gewesen, und er sey beschieden worden, diese drey vermeinte Konsistorialräthe den folgenden Tag in Berlin aufzusuchen, wo sie bey den übrigen Konsistorialräthen für ihn bitten wollten. Der Prediger sey abermals in Berlin ausgelacht worden, als er die unter den ihm gegebenen Blatte unterschriebene Konsistorialräthe gesucht hätte. Der König, der mehr lustig als freygebig gewesen, habe nicht einmal daran gedacht, dem Prediger seine Reise zu bezahlen.
Diese Erzählung hat der Verfasser, der zu Strasburg gedruckten Vie de Fr. II. (T. IV. nouv. Ed. S.67) wörtlich nachgeschrieben, und sie ist in verschiedene deutsche Anekdotensammlungen gekommen. Gleichwohl ist nur wenig wahr daran, und die meisten Umstände sind unrichtig erzählt oder ganz erdichtet. Die Sache verhält sich folgendermaßen.
Der Prediger hieß Blankmeister, war ein rechtschaffner und gelehrter, aber etwas eifriger Mann. Er war unter der vorigen Regierung Feldprediger bey dem Regimente des Feldmarschalls von Grumbkow gewesen, und war nachher Inspektor zu Treptow an der Tollensee geworden, einer Stadt, die über 12 Meilen von Stettin liegt. Ungefähr gegen Ende des Jahres 1745, oder im Anfange des J. 1746 hatte er etwas, einen Offizier betreffend, welcher zum Könige Zutritt hatte, auf die Kanzel gebracht. Dieß war dem Könige vor die Ohren gekommen, und der gute Blankmeister war Ihm dabey als ein ganz närrischer pietistischer Schwärmer beschrieben worden, dessen Predigten Unruhen verursacht hätten.
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Es ward also beschlossen, sich mit einem Mann, den man für einen Thoren hielt, eine Lust zu machen; man fand aber an ihm einen ganz andern Mann.
Blankmeister ward zum Könige nach Potsdam entboten, aber frey und nicht durch Wache. Er ward daselbst in ein Zimmer geführt, wo Pöllnitz und d’Argens als Prediger verkleidet saßen. Es ist aber ganz ungegründet, daß auch der König in gleicher Verkleidung zugegen gewesen wäre; sondern derselbe stand hinter einem Schirm, um zu sehen wie die Sache ablaufen würde. Auch ist es ganz ungegründet, daß sich die Herren für Konsistorialräthe ausgegeben hätten. Es war ja natürlich, daß der Prediger die Namen der Konsistorialräthe würde gekannt, und also die Verstellung gleich würde gemerkt haben. Zudem ist auch in Pommern ein Konsistorium, und der Prediger hätte wohl gewußt, daß ihn der König eher vor dasselbe würde haben citiren lassen, besonders, da damals noch kein Oberkonsistorium in Berlin war. Die Herren gaben sich blos vor Prediger aus. Pöllnitz redete den B. an: dem Könige wäre von seinen Lehren ein nachtheiliger Bericht gegeben worden, und er habe ihnen den Auftrag gegeben, dieselbe zu untersuchen, und Ihm davon zu berichten. Die erste Frage war: Worin bestehet die wahre Gottseligkeit? Darauf antwortete B.: „Daß man Gott fürchte und den König ehre.“ Von ähnlicher Art waren die andern Antworten, so, daß sie dem Lächerlichen gar keinen Raum gaben, wie man vermuthet hatte. Man glaubte also durch gelehrte Fragen es zu finden. D’Argens nahm also in lateinischer Sprache das Wort, und wollte den B. im Griechischen und Hebräischen examiniren. Dies lief aber gar übel ab. Denn der Examinirte wußte mehr, als der Examinator,
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welcher bald in ziemliche Verwirrung kam, zur großen Belustigung des hinter dem Schirme stehenden Königs. B. wurde also mit Ehren entlassen. Der König sendete ihm durch den sel. Geheimen-Kämmerer Fredersdorf eine Summe zur Vergütigung seiner Reise, ließ ihn dabey seiner Gnade versichern, und ihm die Hofnung zu einer noch bessern Beförderung geben. Blankmeister starb aber ohngefähr ein Jahr darauf.
Obige Berichtigung dieser Geschichte ist von einem noch lebenden Manne, dem sie damals der sel. B. selbst erzählte, und ist mit Nachrichten von Personen, die um den König waren, verglichen.
Heft 6 (1792), S. 227-228 (über Fehler in Jean Charles Thibault de LaVeaux' Vie de Frédéric II. roi de Prusse):
Dieser Verfasser [Thibault de LaVeaux] will mich auch mehrmals über den Markis d’Argens belehren, den ich doch gewiß besser kenne als er. Er sagt T. II. S. 275 : Ich hätte mich geirret, da ich (im Iten Hefte S. 75.) sagte : „d’Argens war wirklich willens zurückzukommen, wenn ihn nicht der Tod übereilt hätte.“ Wie nun, wenn man dem Verf. einen eigenhändigen Brief der Markise vorlegen könnte, woraus dieß erhellet? Es ist, wenn man will, eine Kleinigkeit; aber ich suche so genau bey der Wahrheit zu bleiben, daß ich einen Umstand dieser Art nie positiv anführen werde, wenn ich nicht guten Grund dazu habe. Es giebt aber Leute, welche sich dünken, alles besser wissen zu wollen.
Eben dieser Verfasser will die Anekdote vom Tode des la Mettrie, wobey er Jesus, Marie – par façon de parler – ausrief – (15 Heft S. 20) nicht glauben, weil er sich nicht vorstellen kann, daß sie wahr sey. Er wird mir aber verzeihen, daß ich sie dem Markis d’Argens glaube, aus dessen Munde sie kommt. Unser Verf. sagt, die Worte Jesus, Marie! „wären nicht du Dictionnaire des Gens du monde.“ Ich habe doch vielleicht zehenmal den guten Markis
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d’Argens Jesus, Marie! par façon de parler – ausrufen hören, und der war wohl noch mehr homme du monde, als la Mettrie. Unser Verf. sagt : „dieß hätte noch weniger jemand, auch par façon de parler sagen können, qui faisait profession d’athéïsme.“ So! Also sagt ein Atheist wohl niemals : Adieu!
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