Compte rendu des Lettres critiques […] sur les Songes philosophiques de l' Auteur des Lettres Juives de François Alexandre Aubert de LaChenaye Des-Bois, in : Neuer Büchersaal der Schönen Wissenschaften und Freyen Künste (éd. par Gottsched), t. 5 (1747), p. 405-422:
Lettres critiques avec des Songes moraux à Madame de *** sur les Songes philosophiques de l' Auteur des Lettres Juives. Par Mr. Aubert de la Chenaye. à Amsterdam, 1746.
d. i.
Critische Sendschreiben nebst moralischen Träumen, an die Frau von *** über die von dem Verfasser der Jüdischen Briefe herausgegebenen philosophischen Träume. Durch Herrn Aubert de la Chenaye. Amsterdam 1746. 18 Bogen in 8 vo.
Da wir in dem 5ten Stücke des 3. Bandes dieses Büchersaals auf der 397 Seite eine Nachricht 405|406 von den philosophischen Träumen gegeben haben, wider welche gegenwärtiges Werk geschrieben ist; so ist es billig, daß wir unsern Lesern auch von dem gegenwärtigen einen Begriff machen. Jedoch da wir damals von jenem Werke nur hauptsächlich den 15 Traum gewählet, welcher eine Critik über die neuere gekünstelte Schreibart der Franzosen enthält; und gegenwärtiger Verfasser selbst gesteht, daß derselbe einer von den besten in der ganzen Sammlung sey, auch eben nicht viel sonderliches dawider einzuwenden weis: so wollen wir diese Briefe nach der wichtigeren Ursache betrachten, die dem Herrn Chenaye die Feder in die Hände gegeben. Er erklärte sich in der Vorrede so davon: "In einer Zeit, in welcher die Religion, die guten Sitten, und Regierungsformen, beständige Anfälle dulden müssen, nimmt es mich sehr Wunder, daß man so wenig Eifer gewahr wird, sie zu vertheidigen. Man suchet dergleichen Critiken sehr hitzig auf, man liebt solche gar zu heftige Schriften. Allein thut das gemeine Wesen hieran wohl weislich und klug? Nein: der rechtschaffene Mann, der alles lesen und wissen muß, liest sie, nicht in der Absicht gefährliche Sätze draus zu saugen; sondern deren Irrthümer zu entdecken. Die philosophischen Träume, deren viele, sehr freye Gedanken enthalten, sind im Haag und zu Amsterdam gegen das Ende des Novembers verwichenen Jahres herausgekommen. Ich bin einer von den ersten gewesen, der sie gelesen hat. Mein Endzweck aber war nicht gleich anfangs sie zu tadeln." 406|407 Nach einer kurzen Nachricht wie und warum endlich sein Werk im Drucke erscheint, fängt daßelbe selbst an. Es ist in 20 Briefe, an eine Dame, abgetheilet, deren jeder einen philosophischen Traum beleuchtet, und mit einem kurzen moralischen Traume schließt, welcher allezeit das Gegentheil von denen in jenem Buche vorgetragenen Sätzen, in sich hält. In dem vorläufigen Briefe heißt es: "Ein Laye, der in der Welt nicht für einen Ohngötter oder Deisten gehalten werden will, ist sowohl verbunden, die christliche Religion überhaupt zu verehren, in welcher er gebohren ist; als diejenige, von welcher man glauben soll, daß er sich dazu bekenne, nicht nur in ihren Lehrsätzen und Ceremonien, sondern auch in ihren Dienern und Lehrern, zu ehren. Das ist meine Meynung.
Was nun die philosophischen Träume betrifft, so beleidiget der erste die guten Sitten und die Religion. Der andere spottet auf eine plumpe Art fast aller europäischen Völker. Der dritte redet mit Ruchlosigkeit von der Schöpfung der Seelen. Der sechste macht ein abscheuliches Bild von der Gottesgelahrtheit. Der zwanzigste tastet gerade zu, die Gottheit selbst und deren Allwissenheit an. Die andern könnten, bis auf etliche Stellen, für ein bloßes Spaßen gehalten werden; allein diese haben mich ganz in den Harnisch gebracht. Ich schließe daher, daß, weil in vielen dieser philosophischen Träume, Lehren des Unglaubens und der Gottlosigkeit vorkommen, das Werk überhaupt schädlich sey.... Eine Menge von 407|408 Schriftstellern, deren die meisten Epikuräer sind, bemühen sich die Grundseulen der Religion zu untergraben, das Daseyn und Vorwissen Gottes zu vernichten, und den ungefähren Zufall an die Stelle zu setzen. Diese Secte anmuthiger und lustiger Philosophen, machet sich, durch Beyhülfe einer lebhaften Einbildungskraft, einen Namen in der Welt. Die Ungebundenheit in Sitten nimmt ihre Schriften auf. Alles wird in ein Lehrgebäude gebracht, und dasjenige, was die Großen verlocket, suchet auch noch den Pöbel zu verderben: der nur gar zu geneigt ist, in der Wuth seiner Leidenschaften keinen Zügel zu dulden. Man sieht nur gar zu oft dergleichen Werke, die sich in die Welt einschleichen, und so schädlich für die Sitten, als gefährlich für die Empfindungen des Herzens sind. Was mich Wunder nimmt, ist, daß sie so ungestraft die Presse verlassen. Dergleichen freche Schriftsteller nun, nennet man große Scribenten: unfehlbar darum, weil sie alle Monate ein neues Werk aushecken. Allein sind sie auch gute Scribenten? Ich laße sie, Madame, selbst davon urtheilen...."
Soweit erkläret der Verfasser, in dem vorläufigen Briefe, der diesem Werke gleichsam zur Einleitung dienet, die Ursachen, die ihn bewogen, wider diesen höfischen Feind des tiefen Nachsinnens, die Feder zu ergreifen. Die Absicht die er dabey heget, ist so redlich, und die Sachen deren er sich annimmt, sind so wichtig, daß wir allen unsern Lesern, die mit dem Hrn. Chenaye gleicher Empfindungen für 408|409 die Wahrheit, fähig sind, einen Dienst zu erweisen hoffen, wenn wir ihnen noch einige Nachricht von seinen Bemühungen, sonderlich gegen die oben besonders genannten Briefe mittheilen.
Aus dem ersten philosophischen Traume erhellet, daß der Verfasser desselben den Gehorsam der Kinder gegen die Aeltern, und die Gültigkeit des ehelichen Bandes gern abschaffen, und die Menschen in Deisten verwandelt wissen möchte. In einer Affenrepublik, die er sich selbst erschafft, und die unfehlbar wohl besser wird seyn sollen, als alle Ordnungen unsers Erdballs, ist eines der ersten Grundgesetze, dasjenige, welches den Kindern nur eine bloße Ehrerbietung gebeuth, ohne niederträchtigen Gehorsam, und so wie es sich für einen freyen Menschen schicket, der nicht zum Sclaven gebohren ist. Man kann leicht denken, in was für Umstände die mehresten Aeltern gerathen würden, wenn, wie es hier in diesem Affenutopia gebräuchlich ist, die Kinder die Ausleger seyn sollten: wie weit sich die Grenzen dieser Freyheit erstrecken, und wo der niederträchtige Gehorsam gegen die Aeltern ein Ende hat? Aus was für einem undankbaren Herzen fließt nicht der Grundsatz: daß diejenigen Affen, die des Denkens fähig sind, den Familienaffen keine Verbindlichkeit dafür hätten, daß sie sie zur Welt gebracht: als wenn nicht die Erzeugung und Geburt, ungeachtet sie freylich eine bloße Wirkung eines ungefähren Zufalls sind, der aus einem Vergnügen entstanden ist, edle Gemüther fast zu eben der 409|410 Dankbarkeit verpflichtete, als die Erziehung; die allerdings der Vernunft und Freundschaft beyzumessen ist. Wahrlich! gegen die Urheber unsers Daseyns undankbar seyn, das heißt eine Unerkenntlichkeit gegen das höchste Wesen selbst begehen: dem wir niemals für unser Leben danken können, ohne zugleich denjenigen verbunden zu seyn, deren er sich zu Werkzeugen unsers Daseyns bedienet hat. Wir beklagen den Vater des Hrn. Träumers, wofern er noch am Leben ist; und ihn selbst, wofern er einmal heyrathen will und kann, und gehen zu seinen Gesetzen vom Ehestande. Der Verfasser nimmt sie von der christlichen und türkischen Religion zugleich her. Er hätte noch das jüdische Gesetz zu Hülfe nehmen können, nach welchem eine Ehebrecherinn gesteiniget werden sollte: allein er hasset die grausamen Männer, und man kann leicht denken warum? In seiner Republik giebt es brav viel zu scheiden; indem nicht nur das Unvermögen, sondern auch eine unverträgliche Gemüthsart, hinlängliche Ursachen dazu sind. Das erstere Gesetz ist keine neue Erfindung des Hrn. Verfassers; und das andere kann allenfalls ein paar Eheleuten in einem Jahre zu 50 Hochzeiten helfen: wenn abermals vielleicht der unverträglichste, oder flattrichste Theil von der Nichtigkeit des Ehestandes urtheilen soll. An die Schwierigkeit die die Kinder in solchen Fällen machen, hat unser artiger Hofphilosoph nicht gedacht.
Wir kommen auf die Religion dieser vernünftigen Affen, und finden, daß sie weder Heiden, 410|411 noch Juden, noch Türken, noch vielweniger Christen sind. Was denn? wird man fragen. Deisten sind es, die in ihren Kirchen nichts als Bilder haben, damit die Malerey bey den Unwissenden den Mangel der Schrift ersetze. Was stellen aber diese Bilder vor? Etwa das höchste Wesen? Ach nein! davon hat seine allerbeste Affenrepublik keinen hinlänglichen Begriff, um es mit Pinselstrichen abzuschildern: und da auch der Verfasser gar nichts davon gedenket; so können wir glauben, daß es etwa Bildnisse gewisser vor andern verehrungswürdiger Affen seyn werden, die etwa ihre Väter am frühzeitigsten um die väterliche Gewalt gebracht, oder die meisten Weiber verstoßen haben, oder den meisten Männern untreu geworden, und ihnen eine Schande gewesen sind.
Geistliche braucht man in dieser Republik gar nicht; denn derjenige, der die meiste Tugend besitzt, ist auch der Würdigste, die Wünsche des Volks vor Gott zu bringen. Allein hat denn der Herr Verfasser nicht gesehen, daß auf diese Art seine Affen doch einen Geistlichen haben; und zwar einen, der auf einhällige Stimmen des ganzen Volks dazu ernennet ist? Wer weis aber, ob sie auch den einmal gebraucht hätten? Ihr ganzer Gottesdienst besteht in folgendem Gebethe; wodurch sie die Mühe ersparen, ganze Jahre nach einander dasjenige zu studieren, was das Herz und der Verstand sie von selbst lehret: "Mächtiger Gott, du Wesen aller Wesen, Urheber und Erhalter der Natur, mache uns doch gut, 411|412 und gib uns das Nothwendige." Bey diesem Gebethe erinnert sich der Herr de la Chenaye eines noch viel kürzern Gebeths, welches ein alter französischer General, la Hire genannt, kurz vor einer Schlacht gethan: "Großer Gott! Thue du jetzt für den la Hire, was er für dich thun würde, wenn du la Hire wärest, und er wäre lieber Gott." Dieß ist noch lakonischer, als das erste. Müßen denn aber die Affen zu einem so kurzen Gottesdienste eben noch Tempel haben? Ihre Predigten sind bloße Reden, wie sie ein Hausvater seinem Hausgesinde hält. Ein jeder Affe, der reden will, redet, und die andern hören ihm gern zu. Da haben wir Affen die Quäker und Deisten zugleich sind. Wir hoffen, daß uns der Herr Träumer auch eine Abschrift des Lehrgebäudes dieser Religion mittheilen wird; indem es nur aus dreyen Blättern bestehen soll. Zum mindesten sieht man, daß er offenherziger mit der Welt umgeht, als andere Freygeister, und sich ein Vergnügen draus macht, den Deimum unter seiner Affenrepublik vorzutragen; ja der ganzen Welt zu zeigen, daß er sich nicht mehr zu der christlichen Religion bekennet, in welcher er gebohren ist, und die er in allen seinen Schriften auf eine so boshafte Weise angreift.
In dem andern Briefe reiset der Herr Träumer, mit einem Affen, mit welchem er auf gut französisch, in einer Nacht, gleich eine sehr ewige Freundschaft geschlossen, durch verschiedene Länder. Unter jedem Volke das sie antreffen, versteht er eine europäische Nation, und die ganze Satire ist 412|413 ziemlich matt. Wir merken nur an, daß er die Deutschen in dem Lande der Fuselierer abschildert; deren Profession es ist, auf einem Beine bald langsam, bald geschwinde eine Pirouette zu machen; indem sie auf der Schulter ein langes Rohr halten, woraus sie Erbsen schießen. Es wird nicht schwer seyn, zu errathen, welches Land in Deutschland ihn veranlasset, daß er dies Bild allen andern vorgezogen, die Deutschen dadurch abzuschildern. Und da er unser Volk durch diese Uebung lächerlich machen will, worinnen er sich aber vielleicht irret: so wundert es uns sehr, warum nicht eben diese Erfindung ihm in demjenigen Lande Händel zugezogen, ohne welches er gar leicht nicht zu leben hätte. Jedoch gewisse Schriftsteller haben mit verzogenen Kindern das Glück daß alle recht ist was sie thun. Sonst würden unsere Reisende vielleicht in einem andern und empfindlichern Träume erfahren haben: daß diese Fuselierer noch in einer andern Uebung geschickt sind, da sie mit Beyhülfe eines dünnen Stäbchens, die Unbesonnenen, durch die Schweißlöcher des Rückens, auf Lebenslang behutsam zu machen wissen.
Der dritte Traum kann nur Lesern gefallen, die ohne alle Religion sind. Alle Gottesgelehrten, alle Concilien halten die menschliche Seele für unsterblich: allein was ist das einem pyrrhonischen Kopfe, der an allem zweifeln will? Auch die alten Weisen überzeugen ihn nicht: was Cicero in seinem Gespräche von der Freundschaft, und in seinem Traume des Scipio, wider den Sallustius und andere, von 413|414 der Unsterblichkeit der Seelen sagen; was Ovidius von dem göttlichen Hauche lehret, wodurch der Mensch beseelet worden, die Beschreibung, die Virgil vom Tartarus und den elysischen Feldern macht, in welchen die Seelen, nach ihren Thaten, Gutes oder Böses empfangen: das scheinen ihm poetische Erdichtungen, schöne Bilder, und listige Mährchen zu seyn, wodurch man den Pöbel schrecken will; die aber keinen verständigen Mann rühren müßen, der es mit sich selbst so gut meynet, daß er sich nicht einbilden kann, wie seine Seele nach dem Tode noch etwas seyn könne. Um nun diesem Blendwerke auf einmal ein Ende zu machen, und es gründlich zu Boden zu schlagen: so ersinnet der Verfasser sich einen Tempel des Schicksals allwo es ihm nur einen Schmaus kostet, bey welchem sich die Götter alle collegialiter betrinken; und in der Meynung was kluges vorzunehmen, recht was närrisches thun, indem sie anfangen Seelen zu machen. Sollte man nicht denken, niemand könne diese Beschäfftigung als närrisch betrachten, dem nicht etwa eine sehr possierliche Seele zu theil geworden? Wenigstens kann man sonst nicht begreifen, wie doch ein Schriftsteller einen Traum erdichten, und seine Einbildungskraft peinigen kann, um sich über sich selbst aufzuhalten. Mit aller seiner weltartigen Philosophie kann er uns doch von nichts mehr überzeugen, als daß er wenig Kenntniß von seinem Wesen hat. Schwache Geister werden bey einem solchen Bekenntnisse roth! Apollo macht Poeten, Momus Narren, Merkur Diebe und Spitzbuben, Venus 414|415 geile Weibsbilder, Morpheus NB. Philosophen, ec. ec. Wer sieht nun nicht, daß aus einer solchen Schöpfung, ein Dieb nothwendig ein Dieb, eine Metze nothwendig eine Metze u. s. w. seyn müsse; daß der Mensch keine Freyheit behalte, und es folglich unbillig sey, das Gute zu belohnen und das Böse zu strafen? Wir sagen nicht zu viel: Der Verfasser ist selbst so offenherzig, wenn er den Jupiter so redend einführet; "Unbesonnene Sterbliche! Rühmet euch doch nun, wenn ihr auf Erden seyn werdet, daß ihr einer vollkommenen Freyheit genießt, ihr, die ihr in unserer Trunkenheit gemacht seyd; um ein Ball des eigensinnigen Glücks zu seyn.... Durch eure erste Handlung werdet ihr unumgänglich zur zweyten; durch diese zur dritten getrieben: und gleichwohl sagt ihr, wir thun eine Sache, weil wir sie thun wollen, wenn ihr nicht im besoffenem Muthe von uns erschaffen, und folglich dazu bestimmet wäret, euer ganzes Leben hindurch zu empfinden, aus was für einer Quelle ihr entsprungen seyd? Solltet ihr denn nicht erkennen, daß, wenn ihr saget, ihr wollet eine Sache, weil ihr sie wollet, ihr gar nichts saget? Denn, wollet ihr sie ohne Ursache? So muß das Nichts etwas hervorbringen können: und wollet ihr sie aus einer Ursache; so bestimmet euch diese Ursache, und diese wird wieder von einer andern bestimmet: also habt ihr, ihr elenden Geschöpfe, gar keine Freyheit."
Es würde nur ein Zeitverlust seyn, einen so 415|416 lächerlichen Trugschluß zu wiederlegen. Es ist genug, wenn wir sehen, daß dieser sogenannte philosophische Traum, die Menschen um den freyen Willen bringen, und so einschränken soll, daß sie gar desselben nicht mehr mächtig sind. Die fernere Erfindung von dem Siebe oder Durchschlage, wodurch diese Seelen auf die Welt geworfen wären, und wobey sich das Verhängniß ebenfalls betrunken genug aufführet, ist so wässericht, daß wir fest argwohnen sollten, der Herr Verfasser hätte mit den Göttern mitgeschmauset, oder die Aufwartung am Schenktische gehabt.
Der sechste philosophische Traum schwört den Gottesgelehrten und allen theologischen Facultäten den Untergang. Allein man denke ja nicht, daß er es nur mit der Sorbonne zu thun habe: nein, es geht über Salamanca, Oxford, Genf, Wittenberg und Tübingen eben so gut her. Der Träumer braucht wieder ein besonderes Gebäude, in welchem seine wichtigen Wahrheiten sich entwickeln können: daher bauet er sich einen Pallast aus Menschenknochen, die mit einem Kalke von Menschenblute zusammen gefüget sind. Die Thüre desselben bewacht ein ungeheurer Riese, der zween Dolche in Händen hat: auf dem einen steht geschrieben die Nichtduldung, und auf dem andern die Fortpflanzung. Dieser Pallast gehöret der Göttinn Verhängniß, (wer hätte das gedacht?) einer Göttinn, die nicht will, daß das Loos der Menschen sich gar zu sehr der Glückseligkeit der Unsterblichen nähere; die da befiehlt, man 416|417 solle nicht nach dem Gesetze der Natur, sondern, ohne Religion, in einem lustigen und leichtsinnigen Epikurismo leben? u. s. w. Man kann leicht denken, daß unser Träumer eine so barbarische Göttinn nicht grausam genug vorstellen kann. Ihre Lieblinge, (dieß sind die Gottesgelehrten aller Religionen) sitzen neben ihr an Tischen, auf welchen sie Zaubertränke und Gift zubereiten. Die Ordnung dieser Tische wird in 4 unterschiedene Viertheile gemacht, in deren Mitte allemal ein Pfeiler steht. Auf dem ersten ist das Brustbild des römischen Bischofes; auf dem andern Calvins; auf dem dritten Luthers; und auf dem vierten des Jansenius seines. Gegen diese Bildseulen beobachten die Gottesgelehrten einen Dienst, der hier nicht so sinnreich als umständlich beschrieben wird, und woran, weder die Katholiken, noch Reformirten, noch Lutheraner ihre Doctoren der heil. Schrift erkennen werden. Damit wir aber auch erfahren, wo denn die Menschenknochen und das Blut herkommen, aus denen dieser Palast zusammengesetzt ist; so erhellet solches aus der Anklage, die die Gottesgelehrten allhier der Göttinn, über gewisse Gefangene thun, die sie gebunden vor dieselbe bringen. "Göttliche Gottesgelahrtheit! hier sind die Opfer, deren Blut deinen Altar färben soll; weil sie sich erfrechtet zu behaupten, daß du nicht so nützlich , als gefährlich wärest; und daß die bloße Vernunft durch Beyhülfe der Natur, hinlänglich wäre, die Menschen zur Wahrheit zu leiten." So schreibt ein Mann, welcher glaubt, er habe in dieser Welt 417|418 nichts zu scheuen, und in jener nichts zu hoffen. Wer sieht denn nicht, daß der Verfasser hier die wahre und gesunde Theologie die allezeit friedliebend ist, und allezeit die Wahrheit lehret, mit derjenigen vermenget, die nicht von Gott selbst, sondern aus den Menschensatzungen entspringt? Die wahre Religion, die so rein ist, als das höchste Wesen selbst, hat niemals Blut und Würgen geliebt: und ihre Lehrer sind Bothen des Friedens und der Sanftmuth.
Wir brechen von diesem ärgerlichen und mit lauter Unbilligkeit angefüllten Traume ab; um ein Stück aus dem achten Traume, der vor uns habenden critischen Briefe des Herrn de la Chenaye zu übersetzten: weil sich die Leser daraus noch einen deutlichern Begriff von den philosophischen Träumen werden machen können. Der Herr Chenaye sagt, es habe ihn geträumet, als sähe er diejenige Dame, an die seine Briefe gerichtet sind, auf einer Bank in den Thuillerien sitzen, und die Marquisinn von N. zu ihr kommen, die sie gefragt: "was sie von den philosophischen Briefen des Verfassers der jüdischen Briefe hielte? Die erste Dame habe ihr geantwortet: hier ist dieß schöne Werk; was ich noch zur Zeit davon gelesen, lehret mich, daß der Verfasser in seinem 1sten Briefe ein neuer Gesetzgeber; in dem 2ten Briefe ein Mann sey, der die Charactere aller europäischen Nationen vortrefflich kennet, ausgenommen die Preußen und Holländer, und einige andere nicht, die er nicht nennet. In dem 3ten ertheilet er uns den Bericht, daß 418|419 die Götter unsere Seelen im trunkenen Muthe erschaffen, und daß wir in Zukunft nichts zu fürchten haben. Im 4ten ist er ein vortrefflicher Richter aller Poeten, Geschichtschreiber.... Im 5ten ist er philosophischer, als alle Philosophen. Im 6ten beweiset er sehr klar, daß alle Menschen in der Welt keine Theologie nöthig haben. .... Im 8ten ist er ein vortrefflicher Maler, der uns die Stutzer und Buhlerinnen nach dem Leben schildert. Die Marquisinn habe gefraget: hat er nicht auch das geordnete Frauenzimmer und die vernünftigen Mannsleute geschildert? Nein, haben sie geantwortet, Madame ... Wie? habe die Marquisinn gesagt, er wirft uns also mit den Theaterdirnen, mit den feilen Weibsbildern in einen Haufen, die lieber viele Mannsleute zu ihren Diensten begehren, als nur einen allein? Mach es keinen Unterschied unter unsern Männern und den Stutzern aller Länder?" Endlich drohet diese lebhafte Französinn dem Verfasser, daß, wofern er nicht in seinen folgenden Träumen, ihren Landsmänninnen eine Ehrenerklärung thun würde, sie durch ihre Freunde, die sie in B..n hätte, es so weit bringen wollte, daß ihn alles Frauenzimmer, selbst die Operistinn Cochois nicht ausgenommen, aus ihrem Umgange verbannen sollte.
Der 20 Brief endlich ist ein Mischmasch von Philosophie und Theologie, von Wahrheit und Fabeln, von Gelehrsamkeit und Ruchlosigkeit. Nichts ist richtiger, als was der Verfasser der jüdischen und philosophischen Briefe, von den Widersprüchen und 419|420 Ungereimtheiten der verschiedenen physikalischen Lehrgebäude vorbringt: allein, nichts ist auch ausschweifender, als was er will, daß man von der wahren Gottheit, unter dem Bilde der falschen glauben soll; deren er sich allezeit in seinem sinnreichen Werke bedienet, um die Lehren einzuhüllen, welche dem Deismo, der Ohngötterey und Ruchlosigkeit Vorschub thun. Kurz, er ist sich allezeit gleich: er ist gelehrt; allein, er will wissen lassen, daß er keine Religion hat. Ohne die frommen und gelehrten Geistlichen, von den bösen und unwissenden zu unterscheiden, so greift er den ganzen Orden an. Er nennet sie Narren, Faullenzer und Unwissende.
Von der Geistlichkeit kömmt er auf die ersten Gesetzgeber. Nachdem er die Veranstaltungen des Lykurgus getadelt, so geht es über den Moses und die erste Einrichtung des Christenthums her: kurz, er scheuet sich nicht Jesum Christum und Mosen, mit dem Lykurgus und Mahomet in Vergleichung zu stellen. Das Fasten und die Enthaltung sind ihm sehr ärgerlich; als wenn sie nicht nöthig wären die Laster zu schwächen, und die Tugend zu befördern.
Nun kömmt er auf das Buch des Verhängnisses. Hier erhebet er sich über alle Kleinigkeiten; er bestreitet gerade zu das Daseyn Gottes, und vernichtet gänzlich die Gottheit, indem er ihre Vorsehung leugnet. Herr de la Chenaye nimmt sich die Mühe, ihm mit logischen Schlüssen das Gegentheil zu beweisen: allein, was wird er doch 420|421 wohl damit bey einem Menschen ausrichten, der mit sehenden Augen durchaus blind seyn will; und allem Ansehen nach das kleine Glück, was er in der Welt gefunden, dergleichen schönen Grundsätzen zuschreibt?
Endlich muß dem Herrn Träumer bey seiner Verwägenheit etwa selber bange werden; welches für einen so heldenmüthigen Freygeist fast zu schwach ist. Er scheint sich um Gönner und Beschützer seines Lehrgebäudes zu bewerben, und meynt sie zu finden, da er in dem Buche des Verhängnisses, welches Mercur ihm bringt, im dritten Theile, das Verzeichniß der großen Fürsten und Helden aller Zeiten findet. Außer Ludewigen dem XIV. und XV. und dem jetztregierenden Könige von Preußen, nennet er den Turenne, Luxemburg, Conde, Villars, Eugen, Marlborugh, ec. ec. Richelieu, Anguien, Boufleurs, Nivernois, ec. ec. Walpole, Ormond, Chauvelin, Tensin, Argenson, Maurepas ec. ec. und denket unter einem solchem Schirme, sein Gift bis auf die späteste Nachwelt zu bringen. Allein, es ist daran sehr zu zweifeln. Wirklich große Regenten, Helden, Staatsbediente und Gelehrte, sind Leute, die so viel gesunden Verstand als Religion besitzen; und die gewiß den Platz im Tempel der wahren Ehre, des Herrn Verfassers seinem Buche des Verhängnisses weit vorziehen werden. "Man glaube nicht, schließt der Herr de la Chenaye, daß der Name dieses Scribenten sich auch in diesem trefflichen Werke befindet: denn er könnte doch dereinst nur mit 421|422 einem Apollonius von Thyana, mit dem abtrünnigen Julian, mit einem Des-Barreaux, Spinosa und vielen andern Ruchlosen, Ohngöttern, und Deisten der neuern und alten Zeit, das Schicksal theilen, Er ist ein scharfsinniger und gelehrter Mann. Gebe doch der Himmel! daß er uns auch merken lasse, er habe seine Gaben, die er besitzt von Gott empfangen."
Wir haben diesem Wunsche nur noch den beyzufügen, daß wofern unsere Deutschen die philosophischen Briefe etwa dereinst in einer Uebersetzung lesen sollten, derselben ja dieses Werk des Herrn de la Chenaye zur Begleitung und zu einem Gegenmittel des darinn enthaltenen gefährlichen Giftes, beygefüget werde. |