Compte-rendu de La philosophie du bon sens (1737), dans : Neue Zeitungen von gelehrten Sachen N° 7, janvier 1737, p. 52-57:
Dem Titel nach ist auf Kosten der Compagnie nachfolgendes Buch allhier an das Licht getreten. La philosophie du bon sens, ou réfléxions philosophiques sur l' incertitude des connoissances humaines à l' usage des Cavaliers & du beau sexe, par Mr. Le Marquis d' Argens. 12. 1 Alph. Der Verfasser hat jederzeit einen starken Trieb bey sich verspüret, die gute Sache derer, die ohne sonderliche Studien vernünftige Leute sind, an der Pedanterey und dem Hochmuthe der Halbgelehrten zu rächen, und zu zeigen, daß die Vernunft stark genug sey, sich selbst zu heben, und keine von den ohne Grund hochgeachteten Lehrern nöthig habe, wenn sie zur Erkenntniß derer Wahrheiten gelangen will, welche die Glückseligkeit des Menschen befördern; ob es gleich ausgemachet bleibet, daß die Anführung wahrer Gelehrten ihre Unternehmung nicht wenig erleichtern kann. Er hat befunden, daß grosse Leute sehr wenig wissen, es auch selbst erkennen, und daß in den übrigen Wissenschafften ausser der Geometrie, Abgeber [sic! für Algebra, H.-U.S.], einem grossen Theile der Astronomie, und der Experimental Physik, insbesondere aber in der Logik, Metaphysik, und der allgemeinen Naturlehre wenige Gewissheit, und ein Irrthum, den man darinn begangen, schwer zu heben sey. Und doch sind dieses die Wissenschaften, mit denen 52|53 sich die Halbgelehrten der gesunden Vernunft zum Trotze, sehr bereit gemachet; jene hingegen weder selbst getrieben, noch sie andern zu treiben angerathen haben. So voller Eifer aber der Herr Marquis vor die gesunde Vernunft war, so würden doch seine Gedanken zu ihrem Besten nicht zum Vorscheine gekommen seyn, wenn nicht ein Frauenzimmer, welches er sehr zärtlich liebete, dazu Anlaß gegeben hätte. Diese artige Person hörete von Wissenschaften nur die wenigen Wochen über reden, wenn sie sich auf ihrem Landgute aufhielt, da ihr der Herr Pfarr den Aristoteles, ich weis nicht, wie hoch anpries. Der Marquis spührete einen Trieb bey sich, dem Frauenzimmer aus dem Irrthum zu helfen: Und da er den Aristoteles und sein Heer niederschlagen, seinen grossen Verehrer aber auch zugleich demüthigen wollte, konnte er es nicht besser anfangen, als daß er zeigete, wie grosse Ungewissheit in den vornehmsten Wissenschaften herrschete. Er schrieb seine Einfälle auf, und brachte sie unter die 5 Hauptstücke, woraus das Buch bestehet. Sein Vortrag ist lebhaft und angenehm: Die Stellen der alten Scribenten hat er sparsam angeführet und allezeit übersetzet, so daß Gelehrte und Ungelehrte sein Werkchen mit Vergnügen lesen können. Er hat kein Ansehen der Person: Aristoteles, Cartesius, Gassendus, Malebranche werden beurtheilet, wenn und wie sie es, nach des Verfassers Meynung verdienen. Unter allen hält er von Locken am meisten, und wäre am geneigtesten, diesem als dem einzigen Führer zu folgen, wenn ein Philosoph nöthig hätte, eine Parthey zu erwählen. In der 53|54 ersten Réfléxion handelt er von der Ungewissheit der Historie, der Traditionen, und der Meynungen der Gelehrten. Er setzet voraus, daß uns die Vernunft in demjenigen, was wir deutlich erkennen, nicht betrügen könne, und der Richter alles dessen sey, was sich auf das Ansehen anderer gründet. Hierauf fänget er an den Beweis von der Ungewißheit der Historie zu führen. Er beziehet sich dabey auf die Dunkelheit der Geschichte der allerältesten Zeiten, die von der Schöpfung bis auf die Sündflut verflossen sind. Diese nebst ihren Ursachen, ihrer Beschaffenheit, u. der geschwinden Bevölkerung so vieler Länder, würden schwerlich zu glauben seyn, wenn nicht die Bibel durch ihre Erzählung allen Einwendungen die Kraft benähme. Ueber dieses findet man von der Partheylichkeit der Historienschreiber, wenn sie vor ein Volk u. eine Religion eingenommen sind, nur gar zu deutliche Spuhren in ihren Schriften. Und sollte die unbändige Begierde, Wunder mit Wundern zu häufen, welche so viele alte und neue Scribenten bezaubert hat, von denen der Auctor etliche Exempel anführet, sollte der Unterschied der Meynungen, der unter den Völkern, auch nur in Ansehung der Religionen herrschet, und die Historienbücher, sonderlich die von den München und geistlichen Orden, mit so manchen Fabeln angefüllet hat; ja sollte endlich die Unwissenheit der wahren Ursachen, von welchen wichtige Begebenheiten entstanden sind, die Historie nicht sehr ungewiß machen? Die Tradition ist nicht besser gegründet, und ganze Völker können von der Wahrheit der abgeschmacktesten 54|55 Dinge eine starke Versicherung haben. Hierzu kommt, daß, nach dem Auctore die meisten Traditionen nur aus den eingepflanzeten Vorurtheilen, und unserer Trägheit entstehen, und mächtig, auch durch die Poeten, Redner und Maler ziemlich vermehret und unterstützet werden, daher sie desto leichter zu einem Deckmantel allgemeiner Irrthümer gebrauchet werden können. Die Streitigkeiten der Gelehrten, die nur gar zu sehr vor ihre Meynungen eingenommen sind, unter denen doch viele auf den ersten vernünftigen Anblick lächerlich herauskommen, vermehren die Ungewissheit der Wissenschaften ebenfalls. Ja, wenn man dem Marquis glaubet, so hat die Hälfte der sonderbaresten Meynungen unter den Gelehrten, der Eifersucht und dem Hasse gegen einander, ihren Ursprung zu denken; derer zu geschweigen, die aus dem Unterschiede der Religionen entspringen. Die andere réfléxion betrifft die Ungewißheit der Logik. Hier erkläret der Auctor, was die Logik sey, den Ursprung und die Eintheilung der Ideen; er zeiget, daß diejenigen, die wir aus der Erfahrung erlangen, vollkommener sind, als die, so wir durch andere erhalten; er erinnert, man solle sich nicht durch die Sinnen, Affecten, und das Ansehen anderer zu falschen Begriffen verleiten lassen; man solle die Worte fleißig erklären, zweydeutige Worte und verwirrete Reden, vermeiden; er lehret, daß die Richtigkeit der Erklärungen auf die Richtigkeit der Begriffe ankomme; er weiset die Quellen der Unwissenheit; er handelt von dem Urtheile, dem Ursprunge der Wahrheit, den Vernunftschlüssen, den eigentlich so genannten Syllogismis, und der doppelten Methode. Diese Logicalische Lehren träget er überaus deutlich und anmuthig vor. Allein die Ungewißheit der Logik findet man nicht erwiesen: Denn die unterschiedenen Meynungen vom Ursprunge der Ideen, die der Auctor alle vor wahrscheinlich hält, können wohl die Vernunftlehre nicht ungewiß machen. Sein Eifer wieder die syllogismos würde auch geringer gewesen seyn, wenn er Acht gegeben hätte, daß sein wahrer und natürlicher Vernunftschluß von dem so genannten Aristotelischen syllogismo 55|56 nicht unterschieden sey. Die dritte réfléxion giebet dem Marquis mehr Gelegenheit, seine Absicht zu erreichen. Sie gehet die Ungewißheit an, die sich in den allgemeinen Grundsätzen der Naturlehre äussert. Der Auctor handelt folgendes ab. Er stellet die Meynung derer vor, welche die Welt vor ewig gehalten, und die unterschiedenen Lehrgebäude derer, so ihr einen Anfang zugeschrieben haben. Er untersuchet und wiederleget das Systema von dem Weltgeiste, und das Spinosistische, welches jenes zum Theile in sich schliesset. Er redet von der Schöpfung der Welt, von welcher wir, wie er saget, bloß aus der Offenbarung versichert sind; von den ersten Gründen der Dinge, von dem Raum, und Leren, vom Wesen der Materie, von den Gründen der Cartesianer, warum sie eine körperliche Ausdehnung behauptet, und den leren Raum geläugnet, und von den Gründen der Gassendisten, warum sie einen unkörperlichen und leren Raum zugegeben haben, welcher letztern Meynung dem Marquis am wahrscheinlichsten zu seyn dünket; wie er denn aus dem Vermögen Gottes, etwas in Nichts zu verwandeln, die Möglichkeit, ausser dieser aber auch noch die Nothwendigkeit eines leren Raumes erweiset. Hierauf kommt er auf Epicuri atomos, und der Cartesianer subtile Materie, untersuchet, ob die Materie unendlich theilbar sey, zeiget, daß Spinosa seine Hauptbeweise aus dem Cartesianischen Systemate gezogen habe, handelt von der Bewegung der atomorum, und schliesset endlich daraus, die Gewissheit von den ersten Gründen der Natur, und der Beschaffenheit ihres Wesens habe sich Gott selbst vorbehalten, dem Menschen aber zu seinem Nutzen u. Vergnügen die Experimentalphysik gegeben. Die vierte réfléxion enthält einen gleich deutlichen Vortrag hoher Lehren, und zum Theil sonderbarer Sätze, aus denen man diesen Vortheil schöpfen muß, daß man ohne Mühe manche dunkele Tiefsinnigkeit der Weltweisen einsehen lernet. Der Herr Marquis suchet darzuthun, daß uns weder eine Idee, noch eine Regel der Morale, auch nicht die Idee von Gott angebohren sey; denn sonst würde sie nicht so undeutlich seyn. Darauf zeiget er, daß die 56|57 alten Weltweisen keinen rechten Begriff von Gott gehabt haben; daß ein allgemeiner Glaube, es sey ein Gott, keinen Beweis abgebe; daß die Materie mit Gott nicht gleich ewig sey; daß wir nicht wissen, was die Seele sey; er erkläret die Meynung derer, welche die Seele vor materialisch und sterblich gehalten haben; er suchet dem Leser zu überreden, man könne nicht deutlich erweisen, daß die Seele nicht aus Materie bestehe; daß man vielmehr aus der Natur der Seele der Thiere die Möglichkeit daß eine Materie gedenken könne, klärlich ersehe, und antwortet auf einen Einwurf den die Cartesianer gegen die Materialitet der Seele machen. Die menschliche Seele ist gleichsam aus zween Theilen, einem vernünftigen, und unvernünftigen zusammen gesetzet; er hält auch davor, sie sey geistlichen Wesens, man müsse es aber glauben, und könne es aus der Vernunft nicht beweisen; man könne auch ein rechtschaffener Mensch seyn, wenn man gleich von der Unsterblichkeit der Seele nicht versichert ist. Die fünfte réfléxion wird mit Recht bey den meisten Leuten Beyfall finden. Sie leget die Ungewißheit der astrologiae iudiciariae an den Tag. Der Marquis zeiget, daß ihre Grundsätze lächerlich sind; daß der Einfluß der Sterne unmöglich am Glücke und Unglücke des Menschen Ursache seyn könne; daß die Cometen nicht Propheten künftiger Begebenheiten sind; daß aber bey den Sterndeutern Betrug und Spitzbuebery nicht selten zu finden sey. Jede réfléxion ist mit einem Kupfer verunzieret. Die Erfindung ist so schlecht, einfältig und nichts bedeutend, und der Stich so grob und elend, daß man glauben muß, Herr d' Argens und der Kupferstecher haben nicht aus Eigenliebe, sondern aus Vorsicht, damit ihr Nächster nicht ohne Verschulden beschimpfet werden möge, ihre Namen, mit dem unglücklichen inuenit und fecit begleitet, darunter gesetzet.
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