Rezension zu den Songes philosophiques (1746) des Marquis d'Argens, in: Berlinische Bibliothek 1 (1747), S. 111- 118
Songes philosophiques, par l'auteur des lettres Juives, a Berlin, suivant la copie originale. 1746. 8. 14 Bog.
Die Verschiedenheit der Sachen, die muntere Schreibart, und die unerwartete Einfälle 111|112 machen gegenwärtige Schrift sehr angenehm zu lesen. Von den Sachen selbst lassen wir unsere Leser urtheilen, und begnügen uns, dieselben so vollständig zu erzehlen, als ein kurtzer Auszug es erlaubet.
Zwanzig Träume machen diese Schrift aus. Im ersten träumete dem Herrn Verfasser, er käme in ein unbewohntes Land gegen Süden, welches er Singimanie nennet, und worinn die Affen regierten. Er beschreibet ihre Regierungs-Art und die Beschaffenheit ihres Regentens. Von ihrem Gottesdienst heisset es, sie hätten Tempel, aber keine Priester; ein jeder, der was vortragen wolte, redete, die andern schwiegen; ihr Glaubens-Buch bestünde aus drey Blättern, die klar wären, und keiner Erklärung bedürfen, darin wären keine Parabeln, keine Metaphern, kein figürlicher Verstand, und noch viel weniger Geheimnisse; ihr Gebet zu Gott wäre niemals ein anderes, als dieses: Mache uns fromm, und gieb uns, was uns nöthig ist; und sie glaubten, ein solches Gebet zu machen, wäre nicht nöthig, viele Jahre zu studiren.
Im zweyten Traume stellet der Herr Verfasser eine Reise durch Europa mit einem Affen an, und beschreibet derer Völker Neigungen und Gewohnheiten. Im dritten kommt er in den Saal des Schicksahls und sieht die Götter zusammen speisen, die, nachdem sie sich berauschet, zum Vergnügen Menschen-Seelen schuffen. Jupiter hält an diese neuerschaffene 112|113 Seelen eine Rede, darinn er beweiset, dass sie gar keine Freyheit hätten, ob sie es sich gleich einbildeten. Das Schicksahl wirft sie darauf durch ein Sieb, und der Stand eines jeden kommt auf die Löcher an, wodurch sie fallen. Im vierten werden die Bemühungen der Gelehrten unter artigen Bildern vorgestellet. Der Verfasser sahe etliche Menschen kleine Hirsekörner durch Nadelöhre werfen, und niemand machte es besser, als Voltaire und Pyronius; andere machten Wasserblasen, andere machten den Staub zusammen, u.s.w.
Im fünften Traume werden die Metaphysiker lächerlich gemacht, sonderlich die Idealisten, und mit denen zugleich, die da einfache Wesen glauben, und diese Welt vor die beste halten. Im sechsten befindet sich der Hr. Verfasser auf einem hohen Berg, wo er einen Tempel siehet aus Knochen gebauet: der Kütt, der die Steine zusammen verband, war Blut. Innwendig sahe er eine Menge Volks in schwarzen langen Röcken, denen man immer vorpredigte: Ihr müsset leben und sterben vor die Meinungen, die ihr angenommen habet. In einem andern Gemach war eine alte geschminkte Courtisane, deren Lieblinge an verschiedenen Tischen sassen und Gift mischeten welches die Göttin unter einander goß, und den Topf bezeichnete: Gift, die Religions-Kriege zu unterhalten. Der Nahme dieses Weibes hieß divine Theologie . Im siebenden werden die wiedrige Würkungen der Verleum- 113|114 dung bey Hofe vorgestellet, unter dem Bilde der Adler, die sich bemühen einen gnädigen Blick vom Jupiter zu erhalten.
Der achte Traum handelt von der stummen Sprache der Verliebten, durch Mienen und Bewegungen des Körpers. Der neunte bildet die Vergeblichkeit der Bemühung ab, grosser Leute Ruhm zu schmälern, durch die Vorstellung eines hohen Eichenbaumes, den einige Waldgötter, indem sie mit einem Rohr daran schlugen, zu fällen suchten. Der zehnte lehret den Vorzug einer ruhigen Einsamkeit, vor dem unruhigen Leben in der grossen Welt.
Im eilften Traume wurde der Herr Verfasser Leute gewahr von verschiedener Beschaffenheit der Augen, einige waren Microscopisten, die sahen alle Dinge vor groß an; andere waren Konkavisten, denen schien alles eine Kleinigkeit zu seyn. Bey dem Aufwachen fiel es ihm ein, dass dieses Gesicht des Moliers Ausspruch vielleicht erklärte: Die Menschen sind in allen Sachen entweder unverschämte Lobredner, oder verwegne Tadler. Im zwölften wurde eine Komedie aufgeführet, die das menschliche Leben hieß. Die Komedianten waren prächtig gekleidet, und niemand von den Zuschauern durfte etwas an ihnen tadeln, denn sonst wurde er mit Schimpf heraus gejaget; doch funden sich etliche, die zu zischen anfiengen, aber sich auch äusserst in acht nahmen, nicht entdeckt zu werden. Aber auch nicht alle Komedianten waren gleich 114|115 gesinnet, einige nahmen es nicht gar zu übel auf, wenn sie getadelt wurden, sondern besserten sich. Bey dem Aufwachen erkannte der Hr. Verfasser, dass die Hohen der Welt die Komedianten, und wir die Zuschauer wären. Im dreyzehenten träumete ihm, er habe keinen Cörper, sondern nur einen Kopf mit Flügel, wie man die Engel mahlet. Er schwamm auf einem weitem Wasser, und konnte sich durch Hülfe seiner Flügel bis an die höchsten Sterne erheben. Er sahe daher auch andere ähnliche Creaturen, mit kürtzern Flügeln auf einem Wasser schwimmen, das mit einem Netz umgeben war. Einige liessen es sich gelüsten, ihre Nasen durchs Netz zu stechen, gleich kam ein Weib, die der Aberglaube hieß, mit einer Fackel, und verbrante ihnen die Nase. Um ihre Unterthanen besser im Zaum zu halten, errichtete sie zwey Aemter. Etliche machte sie zu Aufseher der Gedanken, die gewissen Metaphysischen Wahrheiten und Physischen Entdeckungen sich wiedersetzen solten. Andere bestellte sie zu Doctores, die Gift macheten, und es diesen Creaturen in die Nasenlöcher gossen. Aber einige hatten die Vorsicht gebraucht, sich mit gewissen Pulvern zu versehen, die die Kraft dem Gifte benahmen. Diese Pulver hiessen Pulver des Gaßendi, des Bayle, des Grotius, des Puffendorfs, des Locks, jüdisches, chinesisches, persisches Pulver, und Pulver des Voltaire. Doch keines war kräftiger, als das Pulver des Montagûe, es war aber nur vor delicate Geister eingerichtet. 115|116
Im vierzehenten Traume befand sich der Hr. Verfasser in einem aufgeputzten Saale, wo prächtig gekleidete Personen auf verschiedenen Stühlen sassen, und von Bedienten umgeben waren. Diese Herren hatten weder Hände, noch Füsse, noch Zunge; wenn sie reden wolten, so steckte einer ihrer Bediente seine Zunge in ihren Mund; wolten sie gehen oder greifen, so leiheten sie Füsse und Hände gleichfalls von ihren Bedienten; bey einigen versah auch diese Arbeit der Bedienten ein Frauenzimmer. Wer siehet hier nicht das Bild vieler Regenten, die dieses Nahmens unwürdig sind? Im funfzehenden erscheinet der grosse Racine , und verwundert sich über die itzige wunderbare Schreibart verschiedener französischer Schriftsteller. Der sechzehende stellet die Art von Menschen vor, die, nachdem sie viele Lobeserhebungen von jemand vorgebracht, endlich mit einem aber beschliessen, und dadurch alles gute, was sie gesagt, wieder zurück nehmen.
Im siebenzehenden ersteigt der Hr. Verfasser den Parnaß, und findet daselbst, nachdem er vergeblich die Musen gesuchet, drey alte Weiber, die Haß, Geitz und Wahrheit hiessen. Im achtzehenden befindet er sich auf dem Wege zum Tempel der Ehren, er sahe Kriegesleute und Magistrats-Personen, Schriftsteller und Mahler, Geistliche, Weiber aus vornehmen und bürgerlichem Stande, aus den Klöstern und Opern-Häusern, Hofleute und Fiackers, nach demselben laufen, und erkannte, dass der 116|117 falsche Begrif, den man von der Ehre hat, die vornehmste Ursach böser Handlungen wäre. Im neunzehenten war er auf einem Berge, wo verschiedene Menschen aus einer Wasserquelle schöpfeten, von diesem Wasser aber gleichsam wie berauschet wurden, sie urtheileten von Schriften, die sie nicht gelesen; sie redeten in Versen, ob sie gleich die Regeln derselben nicht wusten; sie sprachen von den Verdiensten der Mahler, ob sie gleich keinen Begrif von einem guten Gemählde hatten; auf einer gegenüberliegenden Höhe erblickte er Menschen von eben der Beschäftigung, das Wasser aber, das sie trunken, brachte in ihnen Witz und Klugheit hervor.
Der zwanzigste Traum ist unter allen der längste, und vor einen Traum fast zu gelehrt. Das Stück desselben ist insonderheit merkwürdig, worinn der Herr Verfasser zeiget, dass die Meinungen der Weltweisen nichts als neu eingekleidete Lehrsätze der Alten wären. So ist die feinste Materie des DesCartes nichts, als das fünfte Element des Aristoteles; Die Neutonianer haben nur die Meinung des Demokritus, Epikurs und des Empedokles, nebst den verborgenen Kräften der Peripatetiker, unter neuen Benennungen wiederhohlet. Die Monaden haben ihren Ursprung aus den Homöomerien des Anaxagoras, denen ein Rabbine im siebenden Jahrhunderte die Ausdehnung abgesprochen. Die Gegenfüßler hat schon Plato geglaubt, und viele der Alten haben es schon gewust, 117|118 dass die Erde sich um die Sonne drehe. Die Meinung des DesCartes von den sinnlichen Empfindungen hat Lucrez auch schon gehabt, dieser hat auch die anziehende Kraft des Magneten eben so, wie jener erkläret. Was Neuton vom Lichte uns gelehret, hat eben der Lucrez gleichfalls gewust ja er bekennet, er habe es schon vom Epikur gelernet. Den Ursprung der Flüsse hat Seneka eben so wie die neuern Weisen erkläret, und der Umlauf des Geblüts war ihm auch nicht unbekannt. Das der Mond die Ebbe und Fluth verursache, hat Plinius schon angemerkt. Plutarchus hat längst gelehret, dass der Mond ein finsterer Cörper sey, und Berge, Thäler und Hügel auf seiner Oberfläche habe, es auch nicht unmöglich schiene, dass er bewohnt wäre. Daß die Cometen nichts böses bedeuteten, dass sie Himmels-Cörper wären, die ihren geordneten Lauf hielten, hat Geneka schon gewiesen, ja die Egyptier konnten schon vorhersagen, wenn ein Comet sich würde sehen lassen. Die Buchdruckerey ist längst in China bekannt gewesen, und vor vier tausend Jahren rechnete man in diesem Lande schon die Sonnen-Finsternisse aus.
Dis ist der Inhalt dieser kleinen Schrift. Wir halten es übrigens vor einen Druckfehler, wenn in der Rede des Merkurs stehet: moi qui tous les jours bois dix tasses d'ambroisie à coté de Jupiter mon pere ; denn so viel wir wissen, war der Nektar der Trank, und Ambrosia die Speise der Götter. |