"Ein guter Leser", in: Neue Mannigfaltigkeiten. Eine gemeinnützige Wochenschrift. (Berlin) 3 (1775), S. 108-109:
Ein vornehmer Herr in einer großen Stadt bat den Marquis d’ Argens; er mögte ihm doch von seinen Lettres juives den ersten Theil zum Durchlesen leihen. D’ Argens that es. Nach acht Tagen erhielt er von demselben das Buch, nebst einem verbindlichen Kompliment, über die Vortrefflichkeit desselben zurück, mit der Bitte um den zweeten Theil. D’ Argens, der seinen Mann kannte, schickte ihm den ersten Theil nochmals. Nach acht Tagen kam dieser wieder zurück, dabey die Versicherung, 108|109 daß dieser noch mehr als der vorige amüsirt habe; nun bitte er um den dritten Theil. D’Argens schickte ihm abermals den ersten Theil, und sein Leser nach acht Tagen, diesen vermeynten dritten Theil wieder mit einem Komplimente zurück. Und so gieng die Komedie ohne Entdeckung, bis zum sechsten Theil, für welchen d’ Argens ihm wieder den ersten sandte. Als dieser zurück geschickt wurde, schrieb gedachter Herr: vorzüglich habe es ihm gefallen, daß dieses sechste Stück eine kurze Rekapitulation aller vorigen fünf Theile zu enthalten schiene.
Es ist dieses eben der Mann, welcher seiner Fürstin, einen jungen Grafen Essex aus England mit einer höchst naiven Nachricht präsentirte. Es hatte nämlich der bekannte Graf Chesterfield in einem Empfehlungsschreiben scherzweise gesagt: der Überbringer dieses Briefes ist der Graf Essex, doch nicht derjenige, welchen Elisabeth hat köpfen lassen. – Dieser Herr sagte daher bey der Vorstellung – doch ist der Herr hier nicht der Graf Essex, welchen die Königinn Elisabeth hat köpfen lassen, sondern ein anderer.
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