" Einige Anekdoten vom Marquis D'Argens ". in: : Ephemeriden der Literatur und des Theaters (Berlin) 1 (1785), S. 386-393 :
Einige Anekdoten vom Marquis d’Argens.
Der berühmte D’Argens war zu Aix in Provence im Jahr 1704 geboren. Sein Vater, welcher Generalprocureur des Parlements daselbst war, bestimmte ihn zu den Wissenschaften. Die vorzüglichen Talente, welche er schon in der Jugend zeigte, schienen diese Wahl zu rechtfertigen. Er hatte eine ungemeine Feinheit des Verstandes, ein treues Gedächtniß, eine lebhafte Einbildungskraft, und mit Einem Worte, alle diejenigen Gaben, durch welche ein grosser Geist gebildet werden kann, wenn sie die gehörige Richtung bekommen. Allein sein zu grosser Hang zu den Ergötzlichkeiten flößte ihm einen solchen Widerwillen gegen die Rechtsgelehrsamkeit ein, welcher er sich widmen sollte, dass sein Vater sich endlich entschließen mußte, ihm eine Officierstelle zu kaufen. Er ging unter das Toulousische Regiment, das damals in Strasburg in Garnison lag. Nach einigen Jahren kam er nach Aix zurück, um seinen Vater zu besuchen. Es hielt sich eben eine Gesellschaft Schauspieler daselbst auf, und der junge D’Argens, der sehr wohl gebildet war, ein sehr einnehmendes und schmeichelhaftes Wesen hatte, fand bald bei einer von diesen Schauspielerinnen Gehör. Die Heftigkeit seiner Leidenschaft ging so weit, daß er ihr die Ehe versprach. Mit dieser begab er sich nach Spanien, wo er nach einigen Hindernissen glücklich ankam. Seine Verheuratung verzog sich, weil der Obervikarius zu Perpignan erstlich ein Zeugniß verlangte, daß er noch nicht verehlicht sey. Unterdessen wurde er von einem seiner Landsleute, mit Namen Vaumale, erkannt. Dieser gab seinem Vater 386|387 von allem Nachricht, und er vermittelte es, daß der junge Marquis gefangen genommen wurde. Man machte seiner Geliebten, wider welche der Vater eine sehr weitläufige Schrift eingegeben hatte, den Prozeß, und dieses brachte dieselbe dahin, dass sie sich bewegen ließ, in ein Kloster zu gehen. Der junge D’Argens wollte sich aus Verzweiflung das Leben nehmen; er machte Kugeln von zerstoßenem Glas und spanischem Schnupftoback, und er hatte schon eine davon verschluckt, als zum Glück einige Freunde es bemerkten, wie er eben die zweite verschlucken wollte. Man gab ihm folglich dagegen wirkende Arzeneymittel, und er wurde wieder hergestellt, ob er gleich lange Zeit hindurch noch die Wirkungen davon spürte. Hierauf brachte man ihn auf die Zitadelle von Perpignan, wo er sechs Monate verbleiben mußte, bis er Erlaubniß erhielt, den Herrn von Andresel, der als Gesandter nach Konstantinopel ging, zu begleiten. Er sprach auch noch vor seiner Abreise mit dem Französischen Gesandten seinen Vater zu Toulon, mit dem er wieder ausgesöhnt wurde.
Auf der Reise nach Konstantinopel hatte er verschiedene Schicksale. Die Wollust, welche seine Hauptleidenschaft war, setzte ihn zu Algier und Tunis den größten Gefahren aus.
Einer von diesen Auftritten, die ihm auf dieser Reise begegneten, ist zu sonderbar, als daß man ihn mit Stillschweigen übergehn sollte. Nachdem das Schiff, auf dem er war, an der ersten Insul des Archipelagus gelandet hatte, so stieg der junge D’Argens mit seinem Freunde dem Herrn von Clairac aus. Verschiedene Griechische Frauenzimmer gingen an dem Ufer spatzieren. Eine von diesen sahe ungemein traurig aus. Der Marquis und sein Begleiter redeten sie 387|388 an, und erkundigten sich nach der Ursache ihrer Traurigkeit. Sie erzählte ihnen dieselbe. Man hatte auf dieser Insel die Gewohnheit, sich nur auf eine bestimmte Zeit, die in dem Willen der beyden Personen war, die sich verehlichen wollten, zu heuraten. Verlies aber der Mann die Frau, ehe diese bestimmte Zeit vorbei war, so hatte dieselbe keine Hofnung zu einer andern Heurat. In diesem Falle befand sich die betrübte Schöne. Der Marquis und sein Freund suchten sie zu trösten, und sie wurden endlich einig, daß der Marquis die verlassene Wittwe und der Herr von Clairac ihre Begleiterin auf acht Tage ehelichten, als so lange die Zeit ihres Aufenthalts auf dieser Insel dauerte. Eine Art der Heurat, die ohne Zweifel sehr nach dem Sinne der Wollüstlinge ist. Bei allen diesen Ausschweifungen aber vergas der Marquis nicht, allenthalben das Merkwürdigste zu besehen, und insbesondere betrachtete er bei seinem Aufenthalte zu Tunis die Ueberbleibsel von Karthago.
Zu Konstantinopel machte er Bekanntschaft mit einem jüdischen Arzt, Namens Fouseka, und einem Armenier, welcher ein Mann von großem Verstande, aber dabey ein gefährlicher Spinoziste war. Der Marquis hatte bisher geglaubt, dass man den klärsten Begriffen entsagen müsse, wenn man das Daseyn eines Gottes leugnen wolle. Der Armenier suchte dieses zu widerlegen, und er schenkte ihm ein Französisches Manuscript, welches die Ueberschrift führte: Zweifel über eine Religion, in welcher man die Erleuchtung aus guten Glauben sucht. – Die Rückreise des Marquis von Konstantinopel war glüklich. Hierauf mußte er sich auf Anhalten seines Vaters entschließen, ein Advokat zu werden. Er widmete sich nunmehr dem Studiren gänzlich, und verrichtete die ihm auf- 388|389 getragenen Geschäfte mit allem Beyfall. Dieses bestärkte ihn in dem Entschluß, auf die Wissenschaften nun allen Fleiß zu wenden und sich denselben gänzlich zu widmen. Deswegen las er den Loke, Gassendi und Rohault sehr fleißig, und verbannte von dieser Zeit an alle verliebte Romanen aus der Studierstube. In seinen Nebenstunden legte er sich auf die Tonkunst und Malerey, und er brachte es in beyden zu einer grosser Vollkommenheit. Allein diese gute Periode dauerte nicht lange. Eine Sängerin wurde wiederum der Gegenstand seiner Liebe. Er verlies seine Studierstube und seine Akten, und folgte seiner Geliebten nach Marseille, die ihm aber bald darauf eben so untreu wurde, als er den Wissenschaften es worden war.
Auf einer Reise, die er mit seinem Vater nach Paris that, machte er Bekanntschaft mit dem berühmten Maler, Herrn Case. Diese sezte er nachher fort, da er nach verschiedenen Liebesbegebenheiten wiederum Provence verließ, und seinen Aufenthalt in Paris nahm. Hier überließ er sich von neuem seinem Geschmak an den Künsten und Wissenschaften. Einstmals spielte er mit solchem Glück, dass er in einer Zeit von zwey Stunden sechstausend Livres gewann. Dieses Geld wendete er zu einer Reise nach Rom an, ohne von seiner Familie, außer von seinem Bruder, Abschied zu nehmen. Hier blieb er drey Monate, und besah die vielen Merkwürdigkeiten und Alterthümer dieser berühmten Stadt. Allein auch hier verwickelte er sich in Liebeshändel, die ihn in Lebensgefahr setzten. Denn da er seiner Geliebten untreu worden war, so ließ ihm dieselbe durch einen Meuchelmörder des Abends nachstellen. Es fehlte nicht viel, dass er nicht von diesem ums Leben gebracht wurde. Sogleich am folgenden Tage verließ er Rom, und kehrte in sein Vater- 389|390 land zurück. In Marseille überließ er ich abermals den Reizungen der Liebe, und nahm sogar seine Geliebte mit sich nach Aix, wo er von seinem Vater sehr liebreich empfangen wurde.
Einige Zeit darauf brach der bekannte Rechtshandel mit dem Vater Girard und der Cadiere aus, der so viel Aufsehen verursachte. Der alte D’Argens, als Generalprocureur des Parlements, spielte hierbey nach seinem Amte eine ansehnliche Rolle. Allein der Verdruß, den derselbe bey diesem Rechtsstreite spüren ließ, gab dem jungen Marquis eine sehr gute Gelegenheit, den Vater zu bewegen, daß er die Erlaubniß ihm ertheilte, abermals in Kriegsdienste zu treten. Der Vater selbst wirkte ihm eine Lieutenantsstelle unter dem Regiment des Herzogs von Bouflers aus. Seine Geliebte aber nahm er mit sich nach Ryssel. Allein diese verließ ihn bald darauf, da sie sah, daß er nicht mehr im Stande war, sie mit dem nöthigen Gelde zu unterstüzen. Nachher wohnte er den Belagerungen von Kehl und Philippsburg bey. In der erstern wurde er leicht verwundet, in der leztern aber fehlte es nicht viel, daß er nicht von einer Kanonenkugel ums Leben gekommen wäre. Bey Worms hatte er das Unglück, auf einem geraden Wege mit dem Pferde zu stürzen. Dieser Sturz machte ihn zu fernern Kriegsdiensten untüchtig. Hierauf ging er nach Paris, um sich ganz kuriren zu lassen. Allein die Aerzte erklärten seine Umstände für gefährlich, und er mußte seine Stelle beym Regiment aufgeben. Endlich wurde er wieder hergestellt, und nachher blieb er noch einige Zeit in Paris, in welcher er sich mit der Malerey vorzüglich beschäftigte. Darauf reisete er nach Holland und Deutschland, und kam endlich an den Preußischen Hof zu Berlin. 390|391
Der König von Preußen kannte die Talente des Geistes zu gut, als daß er nicht die Kenntnisse des Marquis D’Argens hätte schätzen sollen. Und daher erhielt derselbe sogleich am Berliner Hofe die Stelle eines Kammerherrns mit einem ansehnlichen Gehalte. Bald darauf nahm der König einige Veränderungen mit der Akademie der Wissenschaften vor, und bey dieser Gelegenheit wurde der Marquis D’Argens zum Direktor der schönen Wissenschaften bei der Akademie ernannt. Diese Stelle hat er bis an seinen Tod mit allem Beifall verwaltet. Auf einer Reise, die er im Jahre 1747 nach Frankreich that, erwieß man ihm in Paris und am Königlichen Hofe viele Ehrenbezeigungen. Nach seiner Zurückkunft übersendete ihm der zuletzt verstorbene König von Frankreich, Ludwig XV. sogar sein mit Brillanten reich besetztes Bild.
Indessen war das Hofleben nicht diejenige Lebensart, welche für einen Geist viele Reize und Annehmlichkeiten haben konnte, der so wie der Geist des Marquis D’Argens gebildet war. Dieses Leben wurde ihm als gar bald lästig, und in mehr als einer Stelle seiner Schriften ließ er seinen Verdruß darüber deutlich genug sprechen; er sehnte sich nach einem ruhigen Leben. Die philosophische Stille, wo der Geist sich selbst überlassen, sich mit angenehmen und geistreichen Vorstellungen unterhält, mußte für einen Mann, wie er war, weit mehr Reize nothwendig haben, als die glänzenden Auftritte des Hofes, wo beschwerliche und nichtssagende Komplimente, künstlich ersonnene Schmeicheleyen, das besondere Interesse eines jeden, die Verstellung und das Mißtrauen fast allezeit einer freyen und muntern Unterhaltung, so wie der aufrichtigen Freundschaft, im Wege stehen. Ueber dieses war er ein feiner Epikurer. Der Hang zu einer bequemen und wollüstigen Lebensart verließ ihn nie- 391|392 mals. Der Zwang des Hoflebens mußte ihm also überaus lästig werden. Sein Wunsch wurde ihm endlich gewähret; die Gnade seines Königs verschafte ihm die ruhige Lebensart, nach welcher er sich so lange gesehnt hatte. Hierauf verehelichte er sich mit der Demoiselle Cochois. Dieses Frauenzimmer hatte er selbst erzogen, und ihren Geschmak nach seinen Grundsätzen gebildet. In Potsdam brachte er die letzten Jahre seines Lebens zu; aber er nahm daselbst an dem Geräusche der Welt gar keinen Antheil mehr. Der Marquis D’Argens war einer von den wenigen auserlesenen Genies, welche der König seiner Freundschaft und seines besondern vertraulichen Umgangs würdigte, und in dieser Gnade seines Monarchens erhielt er sich bis an sein Ende. Der König ließ ihm sogar ein prächtiges Monument zu Toulon, wo er verstarb, mit der schönen Aufschrift errichten: Amico veritatis, inimico erroris.–
Inzwischen wird man das Sonderbare in seinen Meinungen, den fast in allen seinen Schriften herrschenden Geschmack zur Wollust, der oft übertrieben ist, die Ursachen seiner darinnen oft vorkommenden melancholischen Laune, und die versteckten widersinnigen Sätze gegen die Religion und geoffenbarten Wahrheiten sehr leicht entziffern können, wenn man seine herrschenden Leidenschaften und die verschiedenen Auftritte seines Lebens überdenkt. Sein Hang, jede Sache zu bezweifeln, läßt sich ebenfalls hieraus und aus der Art, wie er sich mit den Wissenschaften bekannt gemacht hat, überaus leicht erklären. Ich glaube nicht, daß man seinen Kenntnissen und Verdiensten zu nahe tritt, wenn man sagt, daß er ein Mann gewesen sey, der bey ausgebreiteten Kenntnissen und bey einem glänzenden Witze oft sehr unrichtige Urtheile zu fällen gewohnt war, und der, weder in seinem Leben, noch in seinen Schriften, ein Muster 392|393 der Moral ist. Seine Schriften sind angenehm und verdienen gelesen zu werden; aber sie fordern die genaueste Prüfung, wenn sie auf unsre moralischen Grundsätze keinen nachtheiligen Eindruck machen sollen. |