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Compte-rendu de La Philosophie du Bon-Sens (1737), in: Deutsche Acta Eruditorum 225 ième partie (1737), p. 656-684:

La Philosophie du Bon-Sens

d. i.

Welt-Weisheit der gesunden Vernunfft; oder vernünfftige Gedancken über die Ungewissheit der menschlichen Wissenschafften; zum Gebrauch der Edelleute und des Frauenzimmers ausgefertiget von Herrn Marquis d'Argens etc. London 1737 in groß 12mo, 1 Alphabet 2 Bogen nebst einem halben Bogen Kupffer .

Da sich zu unsern Zeiten eine iede Art der Weltweisen angelegen seyn lässt, ihre Gedancken in ein ordentliches Lehrgebäude zu bringen, und darinne ihre Lehren durch die bestmöglichste Verbindung mit einander zu befestigen; so ist es Wunder, daß wir nicht auch von denen Zweifflern ein dergleichen ordentli- 656|657 ches Gebäude erhalten. Die Ursache ist wohl nicht, wie man meinen könnte, diese; weil man in dieser Schule der Weltweisen nichts vor gewiß und ausgemacht, sondern alle Wahrheiten vor unsicher hält, so könne dieselbe auch keine gewissen und ihr eigenen Sätze angeben. Denn sie hat eben sowohl als andere ihre besondere und eigentliche Lehr-Art, Grund-Sätze, Erklärungen u.s.w. daraus ein ihr allein zuständiges Lehr-Gebäude ausgeführet werden könnte. Was Huetius von der Schwäche des Verstandes geschrieben, enthält weiter nichts als was er von Pyrrhone, Sexto Empyrico u.a.m. entlehnet, dem er zwar bisweilen eine Kleidung angelegt, allein dabey das vornehmste, die Lehren und regeln der Zweiffler unserer Zeiten aussen gelassen. Varillas, la Mothe le Vayer, Bayle und einige andere, haben solche der Schule der Zweiffler eigene Regeln mehr gebrauchet, als daß sie andere, die Anwendung derselben hätten lehren, oder sie erklären solen. Wie uns nun ohnstreitig eine ordentliche Abhandlung der Grund-Sätze der Zweiffler fehlet; so hat der Hr. Verfasser des gegenwärtigen Buches, mit dieser seiner Arbeit solchem Mangel abhelffen wollen. Wir überlassen andern zu muthmassen, was ihn bewogen vorzugeben, daß es in Londen gedruckt sey, indem man den englischen und holländischen Druck gar nicht kennen müste, wenn man nicht sehen sollte, daß es in Holland heraus gekommen. Sollen dem Leser dadurch unvermerckt die Ge- 657|658 dancken beygebracht werden. Daß viel geheime wichtige Dinge darinne enthalten seyn, welche nicht an allen orten gesagt oder gedruckt werden dürffen; so wird er hinterggangen, indem es nichts mehr als eine blosse Sammlung der bekanntesten Meinungen der Weltweisen von denen ersten Gründen etlicher Theile der Weltweisheit enthält, welche der Hr. Verfasser nicht mit seinen eigenen Einsichten bereichert, sondern nur nach dem gewöhnlichen französischen Vortrage, sehr viel Worte davon gemacht. Dabey führt er allenthalben ein erbärmliches Geschrey wider die Lehrer auf hohen Schulen, welche er denen Halbgelehrten beständig an die Seite setzet, und beyde wegen einer arglistige Betrügerey anklaget, daß sie klugen Leuten leere Schalen und nichts bedeutende Worte, vor den Kern guter Wahrheiten verkauffen wollen. Dieser Fechter-Streich einiger Halbgelehrten ist heut zu Tage zur Genüge bekannt, wenn sie sich also verbergen wollen, da sie die gantze Welt eines Fehlers beschuldigen, der bey ihnen selbst allerwegen durchscheinet. Er theilet seinen Vortrag in fünff Abschnitte, und handelt nach einer ausführlichen Vorrede, in dem ersten von der Ungewissheit der geschichte, der mündlichen Erzehlung der Alten, und den Meinungen der gelehrten; in dem andern von der Ungewissheit der Vernunfft-Lehre, und in dem dritten von der Ungewissheit der allgemeinen Gründe der Naturlehre. In dem vierten will er zeigen, wie ungegründet die so genannte Metaphysick sey; in dem fünfften aber 658|659 widerleget er diejenigen, welche aus denen gestirnen künfftige Dinge vorher sagen wollen.

Er gestehet, er sey hauptsächlich die Feder zu ergreiffen veranlasset worden, weil er die Verachtung und Schulfüchserey der Halbgelehrten, womit sie andere in der grossen Welt lebende kluge Leute beschweren, rächen wollen, indem er wahrgenommen, daß sie sich bey ihrer groben Unwissenheit gegen die Vernunfft, und das ihnen so verhaste natürliche Licht des Verstandes, hinter einige ungeheure und unverständliche Worte verstecken; ohngeachtet man gar nicht sieht, woher ein Mensch das Recht haben solle, eines andern gründliche Vernunfft-Schlüsse zu verachten, weil dieser Aristotelem und Scotum nicht gelesen hat. Die grösten Gelehrten haben iederzeit gestanden, daß sie viel Dinge nicht wissen; daher sie andere gewarnet, ihre Zeit und Mühe nicht auf solche Sachen zu wenden, welche der menschliche Verstand zu ergründen unvermögend ist, auch insonderheit sich vor denen gelehrten zu hüten, welche in solchen Sachen unter dem Vorgeben einer besondern Einsicht, andere mit ihrem ungereimten Wortkrame hintergehen. Die Leichtgläubigkeit und die eitele Begierde alles zu wissen, sind die zwey vornehmsten Quellen des Irrthums und der Unwissenheit; daher kluge Leute allezeit glauben, daß sie weniger als diejenigen wissen, so sich alles ergründet zu haben einbilden, dabey aber von dem was sie wissen, weit gründlicher und besser als diese versichert seyn. Der Hr. Verfasser will nicht leug- 659|660 nen, daß man in einigen Wissenschaften, besonders in der Messkunst, Buchstaben-Rechen-Kunst, Sternseher-Kunst, und einem guten Theile der Natur-Lehre, so sich auf die Erfahrung gründet, sichere Wahrheiten antreffe; zumahl da man hier seinen Irrthum leicht erkennen kan, wenn man auch unglücklich seyn, und auf unrichtige Wege gerathen sollte. Aqllein er will behaupten, daß in der Vernunfft-Lehre, der Metaphysic, und dem Theile der Natur-Lehre, welcher die allgemeinen Gründe dieser Wissenschaften erörtert, der Verstand vorsetzlich irren, und dabey genugsam versichert seyn könne, daß man ihn solcher Irrthümer niemahls werde überführen können. Da die Sachen so hier vorkommen, schlechter dings unerforschlich seyn; so wollen alle Halbgelehrte ihre Muthmassungen andern vor gewisse Wahrheiten aufdringen, und ein ieder öffentlicher Lehrer sich zu einem Pabst in der Weltweisheit aufwerffen, und gewisse meinungen Aristotelis oder Scoti, künfftighin als Glaubens-Regeln feste setzen. Diesen kündiget der Hr. Verfasser in gegenwärtigem Wercke einen ewigen Krieg an, will aber dabey doch so bescheiden seyn, und ihnen die anderweit wohl verdiente Hochachtung nicht entziehen, wenn er schon einige ihrer Wercke vor lächerlich und kindisch ausgiebt. Wenn er sagt, daß Aristoteles in Ansehung Cartesi oder Newtons ein schlechter Held in der Natur-Lehre gewest; so will er darneben nicht in Abrede seyn, daß er in andern gewissen Stücken ei grosser Mann sey, und daß sein 660|661 Buch von der Dichtkunst eben so gründlich ist, so wenig man dasjenige brauchen kan, was er von der Weltweisheit geschrieben. Wenn einigen von Aristotelis Anhängern dieses zu harte scheinet, so führet der Hr. Verfasser das noch weit härtere Urtheil, welches Malebranche von diesem Weltweisen gefället, zu seiner Rechtfertigung an. Und weil er keineswegs das Ansehen haben will, als ob er sich zu einer Schule der Weltweisen, sie sey welche sie wolle, bekenne; so beschweret er sich auch über das Vorurtheil, welches die meisten Cartesianer vor ihren Vorgänger haben, der gleichwohl ein Mensch gewest, und dieses nicht nur in seinen Schrifften von der Weltweisheit, sonder auch in denen so hochgeachteten Büchern von der Meßkunst, durch vielfältige fehler an den Tag geleget. Gassendus ist so redlich gewest, und hat so offt gestanden, daß er seine Gedancken nicht vor ausgemachte Wahrheiten ausgebe, sich auch selbst bescheide, daß er öffters geirret, daher man ihm weniger als allen andern beykommen kan. Es ist schwer auszumachen, ob Cartesius oder Gassendus mehr Ruhm verdienet, indem die Nachwelt beständig alle beyde mit recht vor grosse Mäner halten wird, und ein ieder seine besondern grossen Gaben gehabt. Cartesius war fast niemand anders etwas schuldig als sich selbst,* und gieng aus Verach- 661|662 tung der aristotelischen Weltweisheit so weit, daß er sich einen Eckel vor allen Gedancken der alten Weltweisen angewöhnete. Gassendus versetzte denen damahls allerwegen eingeführten Meinungen Aristotelis die ersten Streiche, und stellte der Welt ein seit langen Jahren vergessenes Lehrgebäude wieder vor die Augen, putzte daßelbe wohl aus, und legte ihm viel mehrere Stärcke bey, als es vorhin gehabt hatte. Wär man anders genöthiget, sich zu einer gewissen Schule der Weltweisen zu bekennen; so bezeiget der Hr. Verfasser die meiste Lust dem berühmten Locke beyzutreten, dessen Lehrgebäude so gründlich verfasset, sowohl verbunden, und so vernünfftig vorgetragen ist, daß es Verständige billig als ein Meisterstücke bewundern. Allein der sicherste Weg ist, daß man vor die Schrifften der Gelehrten alle gebührende Hochachtung behalte, ohne mit denenselben Abgötterey zu treiben: und dieser Entschluß veranlasset den Hrn. Verfasser, den Malebranche mit harten Worten anzugreifen, weil er ein nach seiner Meinung unbilliges Urtheil von Michael der Montagne und dessen Schriften gefället.* Wiewohl es hat ihn die- 662|663 ser Weltweise nicht allein angegriffen, sondern die gantze iansenistische Parthey ist mit solcher Erbitterung wider ihn zu Felde gegangen, daß man mit Recht urtheilet, des Montagne Sachen müssen sehr gründlich seyn, weil sie sich der Anfälle so vieler mächtigen Feinde ohngeachtetet, dennoch bey dem ihnen gebührenden Ansehen erhalten können. –Wir übergehen einige kindische Vorwürffe, so der Verfasser der so genannten iansenistischen Partey machet, daß einige aus ihrem Mittel, verschiedene Schriften von Liebesgeschichten , insonderheit die Clelie, Terentii Lust-Spiele u.s.w. gelesen. Er will deswegen sowohl den Malebranche als die Jansenisten spotten. Allein man siehet wohl, daß er zu einer artigen Spötterey nicht gebohren sey, und viel gute Worte würde geben müssen, wenn ein verständiger Leser darüber lachen sollte. Malebranche urtheilet von dem Montagne, daß er ein Schulfuchs von einer besondern Art gewest, und auf eine ungeschickte Weise den Edelmann mit dieser Eigenschafft verbunden, durch Anführung vieler Schrifften andere Gelehrten die Welt bereden wollen, daß er vieles gelesen, dabey aber wenig gründliche Einsicht gezeiget, und sein Buch nach allem Ansehen um sich selbst, seine Eigenschafften und Gemüthsneigungen abzumahlen, geschrieben habe. Weil Malebranche hierbey erwehnet, daß der Engel in der heiligen Schrifft die Ehre der Anbetung abgeschlagen, und es also weit grösser unrecht sey, einen Menschen, allemeist sich 663|664 anzubeten; so machet der Herr Verfasser hier ein grosses Lermen, daß Malebranche dem Montagen seine Schulfüchserey, aus der Offenbarung Johannis beweisen wollen, und will gedachten Weltweisen durchaus ins Hertze sehen, daß ihn gantz andere Ursachen bewogen, nachtheilig von dem Montagne zu urtheilen, als die er äusserlich angegeben. Wir übergehen den Beweis, welchen er hiernächst in dem ersten Abschnitte von der Ungewissheit der alten geschichte führet, indem er hier nichts als längst ausgekochte Dinge beybringet, dabey aber dem Leser noch einen Zweiffel wegen der Geschichte, so in der H. Schrifft erzehlet worden, unvermerckt einzuflössen suchet, und aus verschiedenen Wercken weitläufftige Stellen einrücket, welche sich öffters zu seinem Vorhaben nicht wohl schicken.

Jedoch sucht er auch hierbey alles ungewiß zu machen, unter dem nichtigen Vorwande, daß die Weltweisen in diesen ersten Gründen unserer Erkenntniß so uneinig seyn, daß man nicht weiß, welcher Parthey man beytreten solle. Der Herr Verfasser leget seinen Lesern die Schwürigkeiten vor Augen, welche aus diesen Lehren erfolgen, ohne sie durch eine gründliche Beantwortung zu heben, und füget einige Regeln bey, welche man in Erforschung und Prüfung der Wahrheit beobachten muß, so aus der beruffenen L' art de penser genommen seyn, aus welcher er auch fast alles, so er von der Vernunfft=Lehre beygebracht, entlehnet. Weil er hier Gelegenheit findet von dem Schaden zu reden, welchen die den Verstand blendenden Gemüthsneigungen bey Erforschung der Wahrheit thun; so warnet er mit besondern Eiffer vor denen so genannten Jansenisten und Molinisten, und meinet, daß nicht leicht ein Quacksalber in der gantzen Welt, den Kopff mit so vielen Grillen und Betrügereyen beschweren könne, als diese Leute thun. Ein Mensch so einmahl bey einer gewissen Parthey aufgezogen, und zu denen von dieser angenommenen Lehren gewöhnt ist, kan nimmermehr hinter die Wahrheit kommen, sondern alle seine Gedancken sind lauter Träume und ein ungesalzener Mischmasch von mancherley dieser Parthey eigenen Vorurtheilen. Man sieht dieses in der Erfahrung an denen Schwärmern, und dem entzückten und lächerlichen Bezeigen der so in 665|666 S. Sulpicii Schule erzogen werden, welche sich einbilden, daß sie denen Heiligen einen besondern Dienst und GOtt eine grosse Ehre erweisen, wenn sie ihre Schuhe an statt der gewöhnlichen Schnallen, mit Baste binden, und dabey alle, so anders als sie dencken, mit der grösten Grausamkeit verfolgen. Es ist lächerlich, wenn man sieht, wie heut zu Tage die Molinisten die Jansenisten mit ihren eigenen Waffen bestreiten; da vor einiger Zeit jene diesen ihre Heucheley vorrückten, und ihnen ihre grossen Hüthe und Hemden ohne Zierathen an denen Händen vorwurffen. Denn die Jansenisten haben nunmehr alle diese Kinderpossen selbst angenommen, und suchen die Welt mit eben denen Dingen zu hintergehen, welche sie vorhin ihren Gegnern in öffentlichen Schrifften übel auslegten. Sollten die Jansenisten einmahl klüger werden, und diesen Possen absagen, so ist kein Zweiffel, daß die Molinisten solche so gleich wieder annehmen werden, weil es unmöglich ist, daß diese Art Leute nicht auf Thorheiten verfallen sollten. Ein thörichter Verliebter macht seine Geliebte allezeit zu einer Gottheit; und ein Schwärmer gehöret zu einer gewissen Art der Verliebten, welche unerträglicher als alle andere ist. Hierauf erörtert der Herr Verfasser die Ursachen der Unwissenheit, welche theils darauf beruhen, daß uns die Begriffe von verschiedenen Dingen fehlen; theils entstehen, wenn wir dem, was wir wissen, nicht genugsam nachdencken, und die Bilder 666|667 des Verstandes auf alle mögliche Arten miteinander verbinden. Er macht daraus endlich den Schluß, daß alle unsere Erkenntniß mit vieler Unvollkommenheit anfange. Wir sind ungewiß, wie der Verstand zu seinen Begriffen gelange; die Zahl derselben ist sehr geringe; und unter diesen finden sich noch über dieses viele falsch. Es fällt uns unmöglich zu verschiedenen zu gelangen, die uns ungemein nützlich seyn könnten, und wenn man sich lange in der Vernunfft=Lehre umgesehen, so wird man endlich davon versichert, wie wenig man bey aller seiner Wissenschafft sicher sey, daß man sich nicht betrüge.

In dem folgenden dritten Abschnitte handelt er von der Ungewissheit der allgemeinen Gründe der Natur=Lehre, welche nach seinem Erachten noch weit unsicherer sind, als die ersten Gründe der Vernunfft=Lehre. Dem ohngeachtet ist es dem Verstande angenehmer, sich mit jenen als mit diesen zu beschäfftigen. Denn ob man wohl die Wahrheit dieser Gründe nicht deutlich erweisen kan; so vergnüget sich doch der Verstand an denen Einwürffen, so dagegen können gemacht werden: und wenn man nach vieler Mühe und weit hergeholten Vernunfft=Schlüssen, wegen der Gründe der Natur=Lehre noch nicht eine Spanne weiter gekommen ist, als man vorhin gewest; so kan man sich zum wenigsten damit trösten, daß man sich mit solchem Nachdencken 667|668 ein unschuldiges Vergnügen gemacht, und sich an diesen angenehmen Träumen ergötzet. Auf solche Weise soll man sich nach des Hrn. Verfassers Anrathen, alle die Fragen der Weltweisen vorstellen, die sie von dem leeren Raume, von der Theilung der Materie in unendlich kleine Theile, von deren Wesen, von dem Ort, Raum u. s. w. auffwerffen, darüber man länger als 3 tausend Jahr gestritten, und vermuthlich bis an das Ende der Welt streiten wird. Nachdem Cicero denen Lehrgebäuden verschiedener Weltweisen von dem Wesen der menschlichen Seele, mit aller Sorgfalt nachgedacht, so will er GOtt die Sorge überlassen auszumachen, welches das wahre und beste sey. Die meisten Weltweisen sind nicht so aufrichtig als Cicero, wenn sie schon eben wie dieser die Unvollkommenheit ihrer Erkenntniß von natürlichen Dingen einsehen, sondern machen es wie die Verliebten, welche zwar die Mängel des Frauenzimmers welches sie anbeten, erkennen, allein so viel möglich zu verhindern suchen, daß sie nicht der gantzen Welt bekannt werden. So lange unsere Wissenschafft nur mittelmäßig ist, halten wir uns von einigen Meinungen vollkommen überzeuget, welche wir entweder verwerffen oder doch in Zweiffel ziehen, wenn wir zu mehrerer Vollkommenheit in denen Wissenschafften gelangen. Montagne saget, es gehe denen wahren Gelehrten, wie denen Korn=Aehren, welche so lange sie noch leer sind, gerade in die Höhe schiessen, 668|669 und den Kopf aufrecht tragen; solchen aber so bald sie voll werden, und zu ihrer Reiffe gelangen, unter sich sincken lassen, und gegen die Erde neigen. Die erste Frage so in der Naturlehre fürkömmt, ist, ob die Welt von Ewigkeit oder erschaffen sey? Will man die Gedancken die verschiedenen Weltweisen davon gehabt, prüfen; so muß man sich auf eine Zeitlang anstellen, als ob man nichts von dem wüste, was uns Christen die göttliche Offenbarung lehret. Die ältesten Weltweisen setzten insgesamt den Grund=Satz als unleugbar voraus, daß aus nichts auch nichts werden könne; wannenhero auch diejenigen, welche einräumten, daß die Welt einen Anfang gehabt, doch die Materie daraus sie erschaffen worden, für ewig ausgegeben. Ovidius nennte diese Materie das Chaos, und Epicurus die kleinsten untheilbaren Cörperchen, welche nicht mit einander verbunden sind, sondern sich in dem unendlich leeren Raume nach allen Richtungen ungehindert bewegen konnten. Diese Männer hatten auch Recht, so fern sie keine andere Anweisung, als das blosse Licht der Vernunfft vor sich hatten. Denn könnte etwas aus nichts werden, so würde man täglich neue Cörper hervor kommen sehen: es würde eine iede Sache aus einer ieden andern entstehen, und kein Cörper seinen gewissen und bestimmten Ort oder Raum einnehmen, auch aller von dem Schöpffer so genau gebildete Saamen der Dinge, vergeblich seyn; wie solches bereits Lucret. Lib. I, 160 gründlich 669|670 ausgeführet. Demnach konnten die alten Weltweisen ohne Beystand der Offenbarung, die Materie vor nicht anders als ewig halten. Und ob schon einige unter ihnen ein ewiges und vernünfftiges Wesen zuliessen, so konnten sie doch durch das natürliche Licht der Vernunfft nicht weiter kommen, als daß sie solches vor gleich ewig mit der Materie hielten. *         Sie schlossen: wenn anders das ewige verständige Wesen die Materie geschaffen habe; so müsse dasselbe solche entweder aus sich selbst, oder ausserhalb seiner genommen haben, welchen man abmessen kan. Hätte es die Materie ausserhalb seiner genommen, so würde es gleichfalls nicht unendlich seyn, indem also etwas ausser ihm gewest. Man würde auch nicht viel weiter kommen, wenn man sagen wollte, daß dieses ewige Wesen, die 670|671 Materie weder aus sich selbst, noch ausserhalb seiner genommen, sondern nach seinem freyen Willen geschaffen. Denn wenn GOtt also die Materie durch seine Krafft geschaffen; so ist solche Krafft nichts anders als GOtt selbst: und man hat also die vorige Schwürigkeit noch vor sich, ob er die Materie ausserhalb seines Wesens, oder aus sich selbst genommen. Deswegen verfielen auch alle alten Weltweisen auf den Irrthum, daß sie GOtt nicht nur keinesweges vor den Urheber der Materie hielten, sondern ihn gar selbst vor ein cörperliches Wesen ausgaben. Die Epicurer und Stoicker waren disfals einig, und wenn Cicero die Meinungen der Weltweisen von GOtt erörtert, so würdiget er Platonis Gedancken nicht einmahl sie anzuführen, welcher der eintzige war, der in der That erkennete, daß GOtt ein Geist sey. Ob aber schon Plato sahe, daß GOtt kein Cörper sey, und verschiedene gründliche Sätze von dessen Wesen beybrachte; so ist doch nicht zu leugnen, daß er einen sehr dunckeln Begriff davon gehabt, insonderheit wenn er gelehret, daß die Welt von andern der obersten GOttheit unterworffenen Göttern erschaffen worden. Man siehet aus allen diesen unrichtigen und verwirrten Begriffen der alten Weltweisen, wie schwerlich die ohne Offenbarung sich selbst gelassene Vernunft erkennen möge, daß ein ewiger, reiner und einfacher Geist, die Materie geschaffen habe. Demnach haben viele Weltweisen, welche sowohl wegen ihrer Gelehrsamkeit als GOttesfurcht berühmt sind, ohne Bedencken 671|672 gestanden, es sey unmöglich, daß man sich ohne Beystand der Offenbarung deutliche und klare Begriffe von GOttes Allmacht, und überhaupt von allem was unendlich ist, machen könne. Es ist also nicht Wunder, wenn sich die in der Finsterniß des Heidenthums lebenden alten Weisen nicht einbilden können, daß GOtt ein Geist, und daß die Materie aus nichts geschaffen sey. Sie hielten durchgängig davor, daß diese erste Materie ewig sey, und stritten nur wegen der Zeit, zu welcher die Materie in diejenige Ordnung gebracht worden, in welcher wir sie ietzo vor uns finden.

Keiner unter allen Weltweisen hat die Ewigkeit der Welt, mit solcher Beständigkeit behauptet, als Aristoteles, von welchem Satze er niemahls abgegangen, ohngeachtet er in viel andern Dingen seine Meinung sehr offt geändert. Er spottete derer, welche das Gegentheil vorgeben wollten, und pflegte zu sagen: diese Leute setzten ihn in ein grosses Schrecken, weil er sich bisher nur gefürchtet, daß sein vor langer Zeit erbauetes altes Haus einmahl einfallen möchte; nun aber, da er höre, daß die Welt auch ihren Anfang gehabt, besorgen müsse, daß die also vergängliche Welt, einmahl einfallen, und in Staub verwandelt werden möchte. Sein vornehmster Grund war, daß die Bewegung ewig sey, und demnach auch der Himmel oder die Welt, darinne die Bewegung ist, ewig seyn müsse. Ausser dem wollte Aristoteles auch behaupten, GOtt und die Natur würden nicht allezeit das Beste erwehlen und thun, wenn die Welt nicht ewig wäre. Denn da sich GOtt die Anordnung der Welt von Ewigkeit her, als etwas Gutes 672|673 vorgestellet, so hätte er solches gleichwohl so lange Zeit von Ewigkeit her aufgeschoben. Die Meinung dieses Weltweisen hatte so viel mehrere Wahrscheinlichkeit vor sich, weil die so die Ewigkeit der Welt lehrten, viel weniger Schwürigkeiten zu beantworten hatten, als die so das Gegentheil behaupteten. Denn wie alle Weltweisen, zu welcher Schule sie sich auch bekannten, darinne einig waren, daß die Materie von Ewigkeit her gewest; so war es viel natürlicher, daß man glaubte, die Ordnung in ihr, sey auch zu gleicher Zeit gewest; als daß sie sich selbst, das zugleich neben ihr bestehende sowohl vernünftige Wesen, eine ewige Zeit sich müßig und stille gehalten. Diesen fügten Aristotelis Nachfolger und Schüler, noch einen andern Grund bey, welchen der Hr. Verfasser vor unumstößlich hält, wenn sie fragten, ob das Ey oder die Henne ehe gewest; und damit zu verstehen gaben, daß die so der Welt die Ewigkeit nicht einräumen, nothwendig einen ewigen Kreis der Ursachen und ihrer Würckungen zulassen müssen. Es gefallen dem Hrn. Verfasser diese Gedancken des Aristotelis so wohl, daß er solche auch durch einen von ihm ausgefundenen Grund zu befestigen, nicht unterlassen wollen, welcher darauf beruhet, daß Malebranche sehr vernünfftmäßig angerathen: Wen man zwey Meinungen vor sich habe, welche beyde nicht unwidersprechlich erwiesen werden könne, so sollte man diejenige erwehlen, welche denen wenigsten Schwürigkeiten ausgesetzt sey. Man finde aber bey Aristotelis Lehre so gar wenige, und hingegen bey seinem Gegentheil so unzehlige Schwürigkeiten, daß wenn uns die Offenbarung nicht ein anders lehrte, Aristotelis Lehrgebäude viel einfacher und natürlicher seyn würde als dasjenige, was uns das Wort GOttes anzunehmen, verbindet. Ist die Welt ewig, so kan uns die Ordnung in derselben, die beständige Abwechselung der Jahres Zeiten, und andere Würckungen der Natur nicht mehr befremden, sondern es folget dieses alles aus der Ewigkeit der Welt, und es muß nothwendig auch heut zu Tage noch geschehen, was 673|674 zu allen Zeiten also gewest ist.* Der Hr. Verfasser gestehet, daß es sehr schwer falle, die Ewigkeit der Materie einzuräumen; beruffet sich aber darauf, daß man sich auf der andern Seite noch weit mehrern Schwürigkeiten aussetze. Es ist auch nach seinem Erachten nicht leichter, sich einen Begriff von einem ewigen Wesen und Geist zu machen, indem man sowohl von einem Geist als der Ewigkeit, gantz ungewisse und unbestimmte Begriffe hat, sich auch nicht vorstellen kan, wie ein geistliches Wesen habe die Materie schaffen können. Man verirret sich noch mehr, wenn man weiter geht, und bedencket, daß der Mensch, welcher von einem unendlich guten Wesen geschaffen worden, dennoch böse seyn solle. Wie kan ein vollkommen gutes Wesen, ein unglückliches Geschöpffe machen, und der allerheiligste GOtt einen der Sünden unterworffenen Menschen? Alles dieses will der Herr Verfasser dahin anwenden, daß man die Ewigkeit der Materie nicht verwerffen solle, wenn man schon dabei viel unüberwindliche Schwürigkeiten findet. Die Egypter lehrten die Ewigkeit der Welt lange vor denen Griechen, und vielleicht hatten sie diese Lehre von andern morgenländischen Völckern erhalten, welche noch weit älter als sie gewest. Die Römer nahmen die Lehre von der Ewigkeit der Welt, von denen Griechen an. Denn nachdem die Römer die Weltweisheit zu treiben angefangen, so fand zu Rom ein jeder Weltweiser, wie zu Athen seine Anhänger. Der Herr Verfasser führet weiter Epicuri und derer so es mit ihm hielten, Gedancken, von der Erschaffung der Welt, und deren erfolglichem Untergange umständlich aus, und gestehet endlich, wenn er zur Zeit des alten Athens gelebet, und seine Meinung 674|675 hätte sagen sollen, so würde er ohnfehlbar dem Manilio beygetreten seyn, welcher behauptete, daß sowohl die Ewigkeit als die Erschaffung der Welt, den menschlichen Verstand übersteige, und man demnach so lange die Welt stehe auch darüber streiten werde, ohne iemahls die Wahrheit zu finden;

Semper erit genus in pugna, dubiumque manebit

Quod latet & tantum supra est hominemque Deumque.

Jedoch leugnet er nicht, daß er eine verborgene Neigung bey sich fühle, die Ewigkeit der Welt zu glauben, und sich einbilde im Stande zu seyn, denen Einwürffen der andern Parthey völlig Genüge zu thun. Er hofft wider die Stoicker zu behaupten, daß es gar nicht ungereimt sey, zu behaupten, daß die Materie von Ewigkeit her, zugleich neben GOtt bestanden, ihm unterworffen gewest, und dennoch nicht in dieselbe Ordnung und Gestalt gebracht worden, in welcher wir sie vorietzo finden. Denn da sie nicht würden haben leugnen können, daß in GOtt keine Zeit zu finden sey; so würden sie auch haben zugeben müssen, daß wenn dieses unendliche unumschränckte Wesen etwas wolle, die Würckung alsobald auf dessen Willen erfolge. Wenn also der ewige GOtt gewollt hätte, daß die Ordnung und Einrichtung der Welt, von Ewigkeit her ihren Anfang genomen; so müste auch die Welt nach dessen unveränderllichem Willen von Ewigkeit her gewest seyn. Würden die Stoicker eingewandt haben, daß GOtt das Wesen der Dinge nicht ändere, und daß alles was da ist, nothwendig müsse einen Anfang gehabt haben; so hätte man ihnen die engen Schrancken des menschlichen Verstandes können zu bedencken geben, welcher endlich ist, und also die Würckungen des Unendlichen, oder was GOttes Allmacht thun kan, nicht erreichet.* Die 675|676 Epicurer würde der Herr Verfasser nach seinem Erachten, noch viel leichter abgefertiget, und ihnen nur ihren Grundsatz nicht eingeräumet haben, daß die Welt darum vergänglich sey, weil man in denen Theilen, daraus sie bestehet, verschiedene Veränderungen, und endlich deren Untergang wahrnimmt. Man hätte vielmehr Ursache, die Veränderung, so man bey verschiedenen Theilen der Materie sieht eine Wiedergeburt derselben, als einen verderblichen Untergang zu nennen. In Erwegung dieser, und mehrerer dergleichen Schwürigkeiten, verfielen bereits einige unter denen alten Weltweisen auf andere Gedancken von der Welt, hielten dieselbe mit denen Peripatetischen wider die Epicurer vor ewig, meinten aber dabey, daß kein besonderes verständiges Wesen, die darinne befindliche Ubereinstimmung aller Dinge unterhalte. Sie stellten sich die Welt wie ein anderes aus verschiedenen Theilen bestehendes Gantze, ein Thier, Pflantze u. s. w. vor, und wollten behaupten, daß sie mit einer gewissen Krafft begabet sey, welche deren Theile belebe, und in ihrer Verbindung miteinander unterhalte. Wenn Cicero die Meinung dieser Weltweisen erzehlet, so führt er Stratonem Theophrasti Schüler an, dem man den Beynahmen eines Naturlehrers zugelegt; nach dessen Vorgeben, die gantze Gottheit in der Materie wohnte, welcher er auch alle zu Erzeugung und Erhaltung nöthige Eigenschafften beylegte. Dieses ist die alte Meinung von einer besondern die gantze Welt belebenden Seele, welche auch Virgilius sehr offt in seinen Schrifften ausgeführet.

Spinosa hat zu unsern Zeiten dieselbe wieder auf die Bahn gebracht, und sie mit solchen Gründen behauptet, als sich immer ein dergleichen ungereimtes Lehrgebäude 676|677 daraus man so viel ungeheure Folgerungen ziehen kan, vertheidigen läst. Er setzet voraus, daß nur eine eintzige so genannte Substantz möglich sey, welche er GOtt nennet, u. daß alle eintzelne Dinge, der ausgedehnte Cörper, die Sonne, Menschen, Pflantzen ingleichen deren Gedancken und Vorstellungen, nur gewisse Einschränckungen, (modificationes) von dieser Substantz seyn, welche GOtt selbst ist. Der Hr. Verfasser bemühet sich, die Ursachen zu ergründen welche Spinosam auf diese Gedancken, die so vielen Schwürigkeiten ausgesetzet sind, zu verfallen genöthiget; und meinet, es sey daher geschehen, weil er einmahl das vielfältige Unglück vor sich gesehen, welchem der Mensch unterworffen ist; hernach aber weil er sich in dem unumstößlichen Grundsatz, daß aus nichts auch nichts werde, nicht zu rechte finden können. Insonderheit konte er mit seiner Vernunfft nicht zusammen reimen, daß da der Mensch beständig so mancherley Elende ausgesetzet ist, ein unendlich guter Schöpffer, so unglückselige Geschöpffe solle in die Welt gesetzet haben. Er meinte demnach, es sey unmöglich, daß ein so unglückseliges Geschöpffe, ein Werck eines vollkommen guten Schöpffers seyn könne. Will man einwenden, daß der Mensch von seinem Schöpffer in einen glückseligen Stand gesetzet worden, allein weil er sich zum Bösen gewendet; gestraffet zu werden verdienet habe, und daß ihm solche Straffe von seinem Schöpffer, welcher eben so wesentlich gerecht, als unendlich gütig ist auferleget worden; so antwortet der Hr. Verfasser: wenn anders der Mensch von einem vollkommen gütigen Schöpffer herkommen, so müsse er nicht nur ohne alles würckliche Böse, sondern auch gantz ohne einige Neigung zum Bösen geschaffen seyn. Es sey auch die Sache damit noch nicht ausgemacht, wenn man sage: es sey dem Menschen bloß das Vermögen beygeleget, daß er sich zum Bösen wenden könne, und nachdem er das Böse ergriffen, so sey er eintzig und allein an solchem Verbrechen, u. dem in der Welt daher entstandenen Unglück Ursache. Denn wenn anders GOtt vorher gesehen, daß der Mensch sündigen, und die 677|678 ihm verliehene Freyheit übel anlegen werde, weil sich GOtt alles was in der Welt zu allen Zeiten geschieht, als gegenwärtig vorstellt; so hätte er solches verhindern sollen, indem sich ein vollkommen gutes Wesen auch nicht kan nöthigen lassen zu gestatten, daß sein Geschöpffe in das äusserste Unglück gerathe, und dadurch die von ihm in der Welt gemachte schöne Einrichtung und Ordnung gestöret werde. Wär es auch nicht möglich gewest, daß GOtt den Fall des Menschen vorher gesehen; so hat er solchen doch als möglich erkannt, und hätte aus angeführten Ursachen die schädlichen Folgen desselben verhindern sollen: weil die Güte eines Wesens nicht unendlich seyn würde, wen man sich eine grössere vorstellen könte. Es stehet keinem andern, als einem seinem Geschöpffe ungeneigten Wesen zu, diesem solche Eigenschafften beyzulegen, die ihm ohnfehlbar zu seinen Nachtheil gereichen werden. Wenn ein Feldherr allen seinem Soldaten dergleichen Waffen austheilen ließ, welche nur denen so sie auf gewisse Weise brauchen, zu sicherer Vertheidigung gegen den Feind dienen könten, er aber das Geheimniß, wie man sich derselben recht brauchen müsse, nur etlichen eröffnete, und alle andere umkommen ließ, so würde man sich billig über seine Ungerechtigkeit zu beklagen, und wider seine Grausamkeit zu reden haben. So hat es auch nicht genugsamen Grund, wenn man einwendet, daß sich endliche Menschen keinen richtigen Begriff von der Gerechtigkeit eines unendlichen Wesens machen können. Denn ob wohl unser Begriff davon nicht vollständig ist, so sind doch alle unsere Gedancken von der Gerechtigkeit nicht anders richtig, als so fern dieselben der göttlichen Gerechtigkeit nahe kommen,* und eine iede Sache um so viel mehr oder weniger gut oder böse, so viel sie der Vollkommenheit nahe, oder ie weiter sie von derselben entfernet ist. Nun zeiget das unbetrügliche Licht der Vernunfft, daß 678|679 man einen Menschen wegen eines Verbrechens so ohne seinen Willen geschehen, nicht bestraffen könne, und demnach auch der Schöpffer nicht solche Wercke habe schaffen sollen, die unglücklich werden, da es in dessen freyem Willen gestanden, dieses zu vermeiden. Spinosa verfiel also in Erwegung dieser Gründe, in den schädlichen alten Irrthum, daß er GOtt verleugnete, welche er der Welt unter einer neuen Gestalt vor Augen legte, und hatte das Unglück, welches allen denen zu wiederfahren pfleget, so die vor den Menschen verborgenen Geheimnisse erörtern wollen, daß er in einen Irrgarten gerieth, daraus er sich nicht wieder zu recht helffen konte.* Der Hr.Verfasser urtheilet von diesem Lehrgebäude des Spinosa, es sey nichts leichter als solches umzustossen. Denn ob es wohl dem menschlichen Verstande zu schwer sey, die Zweiffelsgründe, so ihn darauf gebracht, aufzulösen; so sehe doch auch ein nur mittelmäßiger Verstand gar leicht, wie ungereimt die Lehre von einer besondern Seele der gantzen Welt sey; daher man sich verwundern müsse, wie sich Spinosa, dem man sonst ein scharffsinniges Einsehen nicht absprechen könne, in dergleichen ungereimte Dinge eingelassen, und verwickelt. Denn da ein iedes ausgedehntes Wesen nothwendig aus verschiedenen Theilen zusammen gesetzet ist; so findet man sich in einer unbeschreiblichen Verwirrung, wenn man sich einen GOtt aus so viel tausend verschiedenen Theilen machet, und ihn also in der That unter die elendesten Geschöpffe erniedriget, indem die Materie der Schauplatz aller Verderbnisse und Veränderungen ist. Wir übergehen dasjenige, was der Hr. Verfasser weiter beybringet, um des Spinosä Irrthum zu widerlegen, indem er weitläufftig 679|680 ausführet, was für ungereimte Folgen daraus erwachsen;* bey welcher Gelegenheit er auch die zu unserer Zeit so gewöhnlichen vielfältigen Beweise, der unumstößlichen Wahrheit daß ein GOtt sey, nicht gut heissen will, weil ausser dem daß viel solche Beweise unrichtig sind, es eine vergebliche Sache sey, eine Wahrheit so iederman in die Augen leuchtet, durch so viele Umwege zu behaupten. Er schliesset endlich daraus: weil sich die Weltweisen so schlechter Gründe bedienen, um die verborgenen Würckungen der Natur zu erklären; so kan man leicht abnehmen, wie unsicher ihre Gedancken von der Natur=Lehre seyn müssen, da sie auf so gar sandichten Gründen beruhen; und demnach die wahre Naturlehre bloß auf die Erfahrung ankome; welche uns viel Geheimnisse entdecket, deren Würckungen wir einzusehen nicht vermögend sind, weil wir die Kräffte der Materie, und wie dieselbe mit Hülffe seiner zarten Materie, Gassendi durch die untheilbare Cörperchen und den leeren Raum, der berühmte Newton aber durch die allen Cörpern eingepflantzte anziehende Krafft erklären. Allein was ist daran gelegen, daß man wisse, wie die ersten Kräffte der Natur würcken? Wenn man nur verstehet, wie man von der Natur sicher erhalten könne, daß sie das thue was wir wollen,** und 680|681 daraus allen gesuchten Vortheil erlanget. Da der Höchste die innersten Würckungen der Natur vor uns verborgen, und deren Erkenntniß sich allein vorbehalten; so hat er uns gleichwohl die Macht gegeben, solche auf verschiedenen uns bekannten Wegen zu veranlassen.

Nachdem also der Hr. Verfasser die Ungewißheit der Gründe der Naturlehre genugsam gezeiget zu haben meinet; so eröffnet er in dem vierten Abschnitte seine Gedancken von der Ungewißheit der so genannten Metaphysick. Er verwirft in ihr nicht nur die unnützen und den menschlichen Verstand verwirrenden Lehren der scholastischen Weltweisen, sondern auch viel andere Meinungen welche die neuern, vermuthlich aus Ubereilung, noch von jenen beybehalten. Die allen Menschen angebohrnen, so wohl allgemeinen als besondern Begriffe aus der Sitten=Lehre, sind nach seinem Erachten gantz ohne Grund erdichtet. Und wie es falsch ist, daß der Begriff von einem ewigen und vollkommnen Wesen allen Menschen eingepflantzet sey; so hält er es vor sehr gefährlich, wenn man diesen zu Hülffe nimmt, um zu erweisen, daß ein dergleichen Wesen würcklich sey. Es fehlet so viel, daß ein dergleichen Begriff der menschlichen Seele von Natur eingedrucket seyn sollte, daß der Hr. Verfasser sich getrauet zu behaupten, daß keiner unter denen alten Weltweisen, einen richtigen Begriff, von dem göttlichen Wesen gehabt. Denn wie bereits oben angeführet worden, stelleten sie sich GOtt mit solchen Eigenschafften vor, welche der wahrhafften Gottheit gantz zuwider sind, und sie aufheben. Wie uneinig waren nicht diese Weltweisen, wegen der göttlichen Eigenschafften? 681|682
Wenn einige vorgeben wollten, daß GOtt vor die Welt sorge, andere es in Zweifel zogen, und noch andere gar leugneten; einige die die Götter in einen gewissen Ort einschlossen, einige ihnen die groben, und andere die nach dem äusserlichen Schein erbaren Leidenschafften der menschlichen Gemüther zuschrieben u.s.w. Aus gleichmäßigen Ursachen verwirfft er auch den Grund, welchen man von der Übereinstimmung aller Völcker hernehmen wollen, um zu beweisen, daß ein GOtt sey, weil socher nicht nur an sich selbst untüchtig, sondern auch gefährlich sey, indem man denselben die Vielgötterey zu behaupten, mit eben so gutem Rechte würde brauchen können.
Nächst diesem prüfet der Herr Verfasser die Sätze der Weltweisen von der menschlichen Seele, und bedauret, daß wir von dem wahren Wesen derselben so gar wenig wissen können. Ob man wohl bereits lange darüber gestritten, so wird es doch vermuthlich nimmermehrausgemacht werden, wie der in uns wohnende Geist, mit denen in steter Bewegung stehenden kleinsten Cörperchen vereiniget sey? Wie derselbe auch ausser dem Leibe, die Krafft zu dencken, und sich des vorigen zu erinnern, behalten solle? Ob derselbe materiel sey oder nicht? U.s.w. und der christliche Glaube allein kan der Ungewißheit abhelffen, in welcher wir stehen, ob diese unsere Seele sterblich oder unsterblich sey. Da sich fast ein ieder Weltweiser seine eigene Beschreibung der Seele ausgedacht; so sind doch fast alle Alten darinne einig, daß sie ein materielles Wesen sey, und alle Kunstgriffe vergeblich oder lächerlich, welche einige zu unsern Zeiten angewendet, die Welt zu überreden, daß bereits einige alte Weisen erkannt, daß unsere Seele kein zarter Cörper sey. Sie konnten auch auf keine andern Gedancken von der Seele kommen, wenn man zurück dencket, daß sie Gott selbst vor ein cörperliches Wesen gehalten. Der eintzige Plato, welcher auf seiner Reise in Morgenland ohnfehlbar 682|683 Mosis Schrifften kennen lernen, und von denen Juden unterrichtet worden, hielt Gott vor einen Geist und diesen gedancken zu folge, auch die Seele vor ein Theilgen des göttlichen Wesens. Diese Meinung kam denen sehr nahe, die Gott vor die Seele der Welt ausgaben; welches uns aber desto weniger befremden muß, da die Gedancken aller alten Weltweisen, wenn man sie genau prüfet, endlich dahinaus kommen. Wie Aristoteles gewohnt war, allezeit in denen Dingen, welche er am wenigsten verstundt, den kühnsten Ausspruch zu thun; so beschrieb er auch die Seele, daß sie eine Krafft sey, so den Cörper bewege, welches er mit dem dunckeln Worte Entelechia ausdrückte. Wie nun niemand mit diesem Worte im geringsten gebessert, oder in seiner Erkenntniß ein Haar breit weiter gekommen ist; so handelte Lucretius weit vernünfftiger und rühmlicher, wenn er offenhertzig bekante, daß wir das Wesen der Seele nicht einsehen, und nicht erforschen können, ob sie mit dem leibe zugleich entstehe, und wieder untergehe? Oder ob sie nach der Meinung anderer Weltweisen, in verschiedene Cörper wandele. Diese veranlasset den Hrn. Verfasser, die verschiedenen Gedancken der Alten von dem Wesen der Seel, insonderheit ob sie materiel oder immateriel sey, nebst denen Gründen, darauf sie solche gebauet, zu erörtern; Bey welcher Gelegenheit er hauptsächlich wider die Cartesianer streitet, die sich eingebildet, daß sie daraus unwidersprechlich erweisen können, daß die Seele nicht materiel sey, weil man nicht begreiffe, daß die Materie dencken könne. Er entlehnet deswegen die gedancken des berühmten Locke, welcher vor ihm erinnert, daß es uns nicht schwerer fallen könne, zu begreiffen, wie Gott nach seiner unumschränckten Gewalt, der Materie die Eigenschafft zu dencken zulegen können, als wenn wir uns vorstellen, wie er solches Vermögen mit einem ieden andern Wesen verknüpffet. Wir wissen im geringste nicht, worinne die Gedancken bestehen, oder welchem Geschöpfe Gott die Krafft zu dencken 683|684 zugeeignet; und würden demnach Gottes Allmacht einschräncken, wenn wir behaupten wollten, er habe nicht einigen Theilgen der Materie das Vermögen zu dencken beylegen, und diese mit ihnen auf das genaueste verbinden können. Die, so das Gegentheil behaupten, sollten wohl zurücke dencken, daß es uns eben so schwer falle, deutlich zu begreiffen, wei die Krafft der Empfindung mit der Materie verknüpffet sey, und wie ein Ding das nicht ausgedehnet ist, würcklich seyn könne, als wenn wir einsehen wollen, wie die Materie dencken könne. Nach allem Ansehen giebt der Herr Verfasser denen Weltweisen, welche die menschliche Seele vor materiel halten und also auch nach ihrer Natur vor sterblich halten, das meiste Recht, und wir überlassen dem Leser die Gründe so er dazu brauchet, bey ihm selbst nachzusehen, ob wir ihn wohl nicht versichern können, daß er viel neue Gedancken antreffen werde, indem das meiste dem berühmten Locke abgeborget ist.

In dem letzten Abschnitte zeiget er die Ungewißheit der Dinge, welche man aus dem Lauff oder Stande der Gestirne gegen einander, vorher sagen will; dabey wir uns aufzuhalten allerdings Bedencken tragen, da die Zigeuner und Wahrsager heut zu Tage wohl bey keinem verständigen Menschen Glauben finden.


Anmerkungen:

Anm. S. 661-662: *Der Verfasser verräth hier seine Unwissenheit, welche er so offt an andern mit harten Worten getadelt. Wenn man aus Cartesii Schrifften wegnimmt, was er insonderheit Harriotto, Galileo und 661|662 Keplern geraubet, so bleibt ihm wenig übrig, ausser ein denen Frantzosen gewöhnliches Gewäsche.

Anm. S. 662: *Es ist dieses denen Verfassern von der Art des Hrn. Verfassers eigen, daß sie weitläufftige Ausschweiffungen machen, weshalben man ihm überlassen muß, zu verantworten, wie sich diese Schutzschrifft vor den Montagne in gegenwärtiges Werck schicke.

Anm. S. 670: *Es hat dieses Vorurtheil iederzeit die Menschen, insonderheit die ältesten Weltweisen, zu viel grossen Irrthümern verführet, daß sie sich eingebildet, sie müsten alles wissen, und besonders in der Naturlehre von allen die Ursachen angeben können. Vielleicht beantwortete ein vernünfftiger Weltweiser die Frage, ob die Materie ewig sey? am gründlichsten, wenn er sagte, er könne solches aus dem blossen Lichte der Vernunfft nicht wissen, indem man auf beyden Seiten unverdauliche Schwürigkeiten findet, man mag entweder sagen, daß die Materie ewig, oder daß sie geschaffen sey.

Anm. S. 674: *Wenn anders dieser Schluß einige Kraft hat, so beruhet sie darauf, daß man bey der Erfahrung bleibet, und gestehet, man könne keinen weitern Grund angeben. Allein es ist eben so leicht, auch bey der andern Meinung seine Unwissenheit zu gestehen; daher jene keinen Vorzug vor dieser hat.

Anm. S. 675: *Wie solches Geständniß der Schwäche des menschlichen Verstandes, hier gantz unzeitig seyn würde, so hätte der Verfasser weit geschickter antworten können, daß viel christliche Weltweisen erkannt, es sey darinne kein Widerspruch, wenn man sage, daß GOtt die Welt von Ewigkeit her erschaffen habe. Jedoch treten wir der Meinung des Hrn. Verfassers selbst nicht bey, sondern überlassen ihm solche zu verantworten.

Anm. S. 678: *Diesen Satz werden dem Hn. Verfasser die nicht einräumen, welchen aus der Vernunfftlehre bekannt ist, wie man zu denen Begriffen von endlichen und unendlichen Eigenschafften gelange.

Anm. S. 679: *Wenn man Spinosam und seine Schrifften sonst kennet, so sieht man aus dem, was wir bishero beygebracht, daß der Hr. Verfasser wenige oder gar keine Nachricht davon habe, vielweniger hat er die wahren Ursachen eingesehen, welche Spinosam zu seinen groben Irrthümern verleitet haben.

Anm. S. 680: *Es ist vorlängst unter denen Gelehrten ausgemacht; daß es gar keine Kunst oder Schwürigkeit sey, die grundfalschen Irrthümer des Spinosa auf diesem Wege zu widerlegen; daher der Hr. Verfasser hier vieler Mühe ohne iemands Schaden, hätte entübriget seyn können. Er hätte die Kräfte seines Verstandes auf eine weit sicherere Probe gesetzt, wenn er nach des Bayle Verlange, wie man in der Schule redet, a priori Spinosam zu widerlegen, gesucht hätte.

Anm. S. 680: **Wir sind mit dem Hrn. Verfasser darinne vollkommen einig, daß die Naturlehre noch lange nicht so weit gebracht sey, daß man die Würckungen der Natur aus allegemeinen Lehr=Sätzen herleiten und erklären könte. Allein uns düncket, daß er darinne eine grosse Unwissenheit in der wahren Weltweisheit verrathe, wenn er meinet, man würde, wenn man schon die Naturlehre in ein gewisses Lehrgebäude fassen, und sichere allgemeine Gründe von denen Würckungen der Natur ausfindig machen könte, daraus nicht den geringsten Nutzen ziehen.

 

 

 


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