Compte rendu
de Le Pyrrhonisme raisonable (Berlin 1756) de Louis de Beausobre in: Zuverläßige Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande, Veränderung und Wachsthum der Wissenschaften , 112ième partie, Leipzig 1757, p. 614-624:
Le Pyrrhonisine raisonable.
das ist:
Der vernünftige Pyrrhonismus, vom Herrn de Beausobre. Berlin, 1756,
in klein Duodez. 12 Bogen.
Herr von Beausobre, der seinen Namen unter der Zueignungsschrift dieses Werckchens an den König in Preussen bekannt machet, hat darinne vornehmlich diese Absicht vor Augen, das Ungewisse und zum Theil Falsche der Wissenschaften, nebst den Quellen derselben auf eine angenehme Weise zu entdecken. Es dünkt ihm das vernünftigste zu seyn, bey so vielen Widersprüchen, die der menschliche Verstand täglich hervorbringt, zu zweifeln, und sich weder für die eine noch für die andere Meinung zu erklären. Herr Beausobre geht die vornehmsten Wissenschaften nach der Reihe durch, hat sich aber im Vortrage an keine andere Ordnung gebunden, als die ihm das Feuer seiner Einbildungskraft dargeboten. Wir wollen seinem Entwurfe folgen, und ihn größtentheils 614|615 mit den eigenen Worten des Textes reden lassen. Man ist so stark, spricht er gleich zu Anfange, mit eben dem dogmatischen Geiste eingenommen, daß einen Zweifel vorbringen, beynahe so viel heißet, als keinen Verstand haben. Man berufet sich auf die untrüglichen Regeln der Logik, auf das Urtheil großer Männer, und auf den Ausspruch der ganzen Welt; gleich als wenn die Logik kein Werk der Menschen wäre; gleich als wenn die großen Geister nicht hätten irren können; gleich als wenn ein allgemeines Vorurtheil mit Grunde für eine unleugbare Wahrheit könnte angenommen werden. Man ließt zu viel und denkt nicht genug. Derjenige, welcher sich auf seine weitläuftige Belesenheit verlässt, fängt erst spät an nachzudenken; sein Geist ist zu wenig gewohnet, die Begriffe mit einander zu verbinden, und über diese Verbindung zu urtheilen. Ich würde den verzweifeltesten Sceptiker dem geringsten Sectirer vorziehen, wenn es auf Sachen der Philosophie ankömmt. Was ist aber ein Sectirer? Es ist ein Mensch, der da glaubt, das Wahre und Falsche einzusehen, sich auf eines andern Urtheil verlässt, und von ihm aus einem Vorurtheile alles ungeprüfet annimmt. Es scheint, wenn die Wahrheit einmal erfunden ist, daß man unmöglich in den ihr entgegenstehenden Irrthum fallen könne. Indessen haben doch die Philosophen zu allen Zeiten ganz widriges Zeug behauptet: Ein Beweiß, daß die Wahrheit 615|616 schwer, oder wohl gar nicht zu finden sey. Bey dieser Gelegenheit fället der Verfasser in einer Note vom Hobbes, und dessen Leviathan, ein sehr gutes Urtheil. Wenn wir uns anstrengen, von allen Vorurtheilen frey zu seyn: so ist vielleicht nichts, das uns durchaus gewiß zu seyn scheinet. Wenn wir uns aber gegentheils den menschlichen Vernunftschlüssen überlassen, so wird uns das Schicksal eines Hobbes, Tychons, Vossius und Nicole begegnen. Tycho de Brahe lachte über das Schrecken, welches die Sonnenfinsternisse verursachten: gleichwohl konnte er nicht vorübergehen, und musste schleunig umkehren, wenn ihm des morgens ein altes Weib oder ein Leichengefolge entgegen kam. Bossius spottete über die heilige Schrift, und war zu gleicher Zeit in allem entsetzlich leichtgläubig, was man von China und Japan erzählte. Demosthenes, der größte griechische Redner hatte das Herz, sich durch Hülfe seiner philosophischen Gründe, der Schlacht bey Cheronäa auszusetzen: er nahm aber die Flucht, so bald die ersten Glieder getrennet worden, und war in solcher Angst, daß er sogar einen Strauch um Pardon anrief, an welchem ihn der Rock hängen blieb. Ein sehr mittelmäßiger Kopf ist genug, den falschesten und lächerlichsten Meinungen einen guten Anstrich zu geben. Die Vernünftler (raisonneurs) nehmen gern alle Gründe an, wenn sie nur dunkel, paradox und anscheinend sind. Es ist schwer, sich den metaphysischen 616|617 Grübeleyen zu überlassen: man fällt darüber oft auf so sonderbare Begriffe, und bauet sich ein System, das allen, außer uns unverständlich ist. Ich habe, saget Herr Beausobre, einen Menschen gekannt, der das Daseyn des Nichts auf folgende Art beweiset: der Unterschied der Dinge ist wirklich, wenn die Vielheit wirklich ist. Denn bloß daher, daß es viel wirkliche Dinge giebt, können wir mit Wahrheit sagen, daß diese Sache nicht die andre ist, sondern daß es ihrer mehrere giebt. Wenn also der Unterschied der Dinge wirklich ist, so giebt es eine wirkliche Verneinung. Aber die Verneinung und das Nichts sind einerley. Daher ist das Nichts wirklich vorhanden. Es giebt keine Meinung, die nicht Verfolger und Anbether haben sollte: denn es giebt immer Leute, die nach der Wahrheit forschen. Wenn sie aber auf zwo Meinungen kommen: welche sollen sie ergreifen? Zweifel ist die klügste Parthey. Ein jeder will Recht haben, und in der That hat es niemand. Wenn die Begebenheiten, wovon uns unsre gesammten Sinne überzeugen, dergleichen das Daseyn der Körper ist, nicht können erwiesen werden: was dürfen wir von den metaphysischen Begriffen, die man als die ersten Gründe aller unserer Erkenntniß ansiehet erwarten? Lassen sich denn die Irrthümer der Idealisten, Egoisten und Materialisten so leicht widerlegen? Es ist eine Thorheit, sich so etwas, wie diese Leute, einzubilden; aber man kan doch 617|618 nicht so leicht beweisen, daß diese Thorheit, und dieser so erniedrigende Begriff ein Irrthum sey. Die Philosophen geben alles zu, wenn sie nur ihr System vertheidigen könne. Das Lächerliche, das Unmögliche ist eine geringe Vormauer für sie, denn ihre Einbildungskraft übersteigt sie gar leicht. Der vornehmste Nutzen der Weltweisheit soll darinne bestehen, daß man sie so gut auf die Religion hat anwenden können. Indessen haben doch einige Kirchenväter zwischen Platons Subtilitäten und den verborgensten Geheimnissen des Christenthums einiges Verhältniß gefunden. Daraus sind nun unzähliche Ketzereyen, Spaltungen und Secten in der Kirche entstanden, und es war endlich so weit gekommen, daß man glaubte: ohne den Aristoteles möchten viele Glaubensartikel nicht vorhanden seyn. Es ist fast keine Wissenschaft und Kunst, welche vor Alters nicht bekannt gewest. Die Monade des Leibnitz, die anziehende Kraft, die vorherbestimmte Harmonie, alles haben die Alten gewusst. Es ist eben so viel Pedanterey, wenn man die Alten sehr über die Neuern erhebet, als Klugheit es ist, wenn man beyde einander gleich schätzet. Es hat zu jeder Zeit gelehrte Leute und glückliche Erfinder gegeben. Man hat die Alten in allen Jahrhunderten den Lebenden vorgezogen; Horaz klagt schon gegen den Angriff in der Ode Cum tot sustineas et tant negotia solus, darüber, daß die Römer es denen Griechen so wenig gleich thäten. Man 618|619 muß aber bedenken, daß die Eigenliebe zu allen Zeiten geherrschet hat. Vielleicht sind unsre Enkel billiger gegen uns. Sich einer weitläuftigern Kenntniß der Moral und der Gesetze rühmen, heißt sich rühmen, daß man bößer sey. Denn die Laster haben uns erst die Gerechtigkeit, und die Verbrechen das Recht studieren lassen. Nachdem die Bedürfnisse sich vermehret haben, nach dem hat man gesuchet, sie herbey zu schaffen. Jedes Jahrhundert hat uns neue Systeme gegeben, die alle einerley Schicksal, nehmlich die Verachtung und Vergessenheit gehabt haben. Wer wird uns Bürge seyn, daß es denen unsrigen nicht eben so geht. Glücklich ist also derjenige, dem ein kluger Zweifel gebessert und in Stand gesetzet hat, diese Hirngespinste nicht ferner zu häufen. Unsre Systeme sind wie die Wachsbilder; wenn die Sonne drauf scheint, so bleibt nicht der geringste Zug davon übrig. Es geht damit, wie mit falschen Steinen; die einen sind glänzender als die andern, und von weiten lassen sich auch die Kenner dadurch betrügen. Das cartesische System muß unserm Herrn Verfasser auch vielen Stoff geben, die Ungewissheit der philosophischen Sätze zu beweisen. Er nimmt besonders den Satz des Cartesius vor sich: Alles, was ich klar erkenne, das ist wahr. Er machet davon zwar eine Auslegung, um den Cartesius zu rechtfertigen; die aber falsch und gar nicht nach der Meinung des Cartes seyn kan. Der gedachte Satz ist an sich unrichtig, und wenn 619|620 er irgend durch Einschränkung und Erläuterung hätte können gebessert werden, so würde es Tschirnhausen, der eben diesen Satz gebrauchet, gethan haben. Leibnitzens System, schreibe der Verfasser, ist wohl ersonnen; es hat ein schönes Ansehen; aber es ist ein Labyrinth. Wenn man ohne Mühe hineindringt; so verirret man sich darinne gar leicht. Leibnitz hat können die Träume und Meinungen seiner Vorgänger zerstören. Er hatte Kräfte und Verstand dazu. Aber hat das Dunkle der Natur mit gleicher Fähigkeit ins Licht setzen, hat er genugsam klare Begriffe geben, und sich überall wider die Vorurtheile waffnen können? Leibnitz war ein großer Mann, das heißt, er war ein Mensch. Herr Beausobre thut aber im 94 § dem Hrn. von Leibnitz Unrecht, oder weil er dieses selbst nicht gern gestehen wird, so versteht er die leibnitzische Lehre vom nexu rerum nicht, denn dieser soll, wie Herr Beausobre vorgiebt, den Wunderwerken gänzlich widersprechen. Dieweil dieselben, nach Leibnitzens Meinung keinen zureichenden Grund in der Verbindung der Dinge haben, wie können sie jemals entstehen? Herr Beausobre muß aber wissen: Leibnitz redet von dem Grunde der Wirklichkeit; und den haben die Wunderwerke nicht in der Ordnung der Dinge. Aber sie haben allerdings einen Grund der Möglichkeit in dem nexu rerum, das heißt: die Wunderwerke streiten nicht mit dem Wesen und der Verknüpfung der Dinge. Denn wäre dieses, so könnten sie niemals, 620|621 auch nicht von Gott, hervorgebracht werden, und wären schlechterdings unmöglich. Und wenn einige Metaphysiker, wie Herr Beausobre anbringt, Leibnitzens Satz dadurch haben beweisen wollen: daß sie zwischen der Ordnung der Natur und der Ordnung der Welt unterscheiden, und die Wunderwerke nur für die letzte widersprechend annehmen, so ist er gerade über einen sehr schlechten Kenner der leibnitzischen Sätze gekommen. Die vernünftigen Philosophen pflegen Leibnitzen so zu erklären, daß sie sagen: die Wunderwerke sind zwar über die Natur der Dinge, nicht aber wider dieselbe: das heißt, es giebt keine Kraft in der Natur, die ein Wunderwerk hervorbringen könnte; denn wenn eines geschehen soll, so muß eine Kraft ausserhalb der Natur dazu kommen, die daßelbe zum Vorschein bringt. Wir wissen wohl, daß Leibnitzens Nachfolger gestanden haben: miracula turbant ordinem naturae, die Wunderwerke stöhren die Ordnung der Natur. Aber wer da gelernet hat, daß diese Redensart bey diesen Männern nichts anders heißt, als: die Wunderwerke übersteigen die gewöhnliche Ordnung der Natur, und hemmen in so fern den ordentlichen Lauf der Natur, damit hiedurch etwas größeres und mehreres geschehe, als durch diesen ordentlichen Lauf hätte geschehen können; der wird aus der angeführten Redensart nicht dergleichen üble Folgen, weder boßhaft noch unwissend ziehen können. Es ist freylich nicht jeder, der sich etwa von der Seite des Witzes 621|622 etwas dünkt, darum auch im Stande, einen philosophischen Satz zu begreifen, der in der Kette des ganzen Vortrages allererst muß verstanden werden. Der Ausdruck: nichts ist Gott unmöglich, giebt unserm Herrn Beausobre auch viele Gelegenheit zu spotten. Ist wohl unsre Einsicht, spricht er, hinlänglich, zu sagen, was möglich ist? Und können wir über dasjenige, was Gott thun kan, wohl nach dem urtheilen, was uns seiner Weisheit und unserm Glücke gemäß zu seyn scheint? Allein Herr Beausobre muß merken, das letzte thut kein wirklicher Philosoph; und das erste, nehmlich der Begriff des möglichen ist gleichsam der erste Grundsatz der menschlichen Vernunft, dessen Beweis die Vernunft selbst ist. Man muß sich nur erinnern, wenn man sagt, was möglich ist, oder welches gleich viel gilt, wenn man sagt, wie der Begriff des Möglichen beschaffen ist, so giebt man gerade an, welche und wie viele Dinge möglich sind; und auf diesen Nebenbegriff scheint Herr Beausobre zu verfallen, wenn er fragt: wer kan sagen, was möglich ist? Der Satz vom zureichenden Grunde des nicht zu Unterscheidenden, und das Gesetz der Stätigkeit sind an sich richtig; aber setzt der Verfasser hinzu, sie sind ganz und gar einerley, es sind verkappte identische Sätze. Hier müssen wir erinnern, wenn alle Sätze identisch sind, die aus einander hergeleitet und erwiesen werden, wo einer vorhergeht, und der andere mittelbar oder unmittelbar aus ihm folget: so gestehen 622|623 wir frey, daß alle Wahrheiten, so unzählich ihre Anzahl ist, identische Sätze sind. Denn zuletzt muß man doch auf eine erste kommen, welches die Quelle aller übrigen ist. Ueber die Beweise von der Unsterblichkeit der Seele fällt er kürzlich dieses Urtheil: man sollte doch erst die Natur der Seele kennen lernen. Warum schließt aber Herr Beausobre nicht: ich schreibe itzo dieses Buch; ich zeige die Ungewissheit aller menschlichen Erkenntniß; ich ändere die Fehler und Irrthümer des menschlichen Verstandes in allem, was er Großes und Scharfsinniges hat. Aber ich sollte doch erst meine Seele und die Kräfte derselben kennen lernen, ehe ich mich an einen solchen Abgrund wage, worein Agrippa und so viele große Männer vor mir gestürzet sind. Hätte Herr Beausobre diesen Schluß gemacht, so dünket uns, würde er über eine Arbeit selbst gelachet haben, die er andern so vorrücket. Denn wenn nichts gewisses, so gar in den scharfsinnigsten Systemen ist, sollte wohl alles Grund haben, was der Herr Verfasser so ohne Beweis vorträgt? Wir wollen deutlicher reden. Die Schreibart und der sämmtliche Vortrag ist munter und unterhaltend. Aber die meisten Sachen, zumal die Urtheile über manchen philosophischen Satz erfordern eine schärfere Einsicht als des Hrn. Beausobre seine, wenn man sie beurtheilen und widerlegen will. Das ganze Buch ist meistentheils in abgesonderten Gedanken geschrieben: eine Methode, die so leicht als verführend ist. Manches Historische dünkt 623|624 uns auch offenbar falsch, das er gleichwohl selbst will gesehen haben: z. E. p. 202 einen lutherischen Catechismus, worinn die Frage: ob die Calvinischen den Teufel anbeten? mit Ja, und zwar ohne alle Einschränkung beantwortet wird.
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